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Hemmung der Verjährung bei Masseunzulänglichkeit

Hem­mung der Ver­jäh­rung bei Mas­se­un­zu­läng­lich­keit

In der Pra­xis gibt es eine Viel­zahl von mas­se­un­zu­läng­li­chen Insol­venz­ver­fah­ren. Wie in die­sen Fäl­len, auch ange­sichts der zum Teil lan­gen Ver­fah­rens­dau­ern, eine Hem­mung von Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten her­bei­ge­führt wer­den kann, ist frag­lich. Mit einem ent­spre­chen­den Fall hatte sich der BGH (Urteil vom 14.12.2017, IX ZR 118/17) zu befas­sen.

Sach­ver­halt

Der Beklag­te ist mit Beschluss vom 1.08.2003 zum Insol­venz­ver­wal­ter über das Ver­mö­gen der R‑GmbH bestellt wor­den. Er erteil­te der Rechts­vor­gän­ge­rin des Klä­gers im Sep­tem­ber 2003 ein anwalt­li­ches Man­dat, mas­se­zu­ge­hö­ri­ge Ver­si­che­rungs­an­sprü­che durch­zu­set­zen. Die Klä­ger­sei­te wurde ent­spre­chend tätig. Am 01.06.2004 zeig­te der beklag­te Insol­venz­ver­wal­ter dem Insol­venz­ge­richt Mas­se­un­zu­läng­lich­keit an, die ent­spre­chend ver­öf­fent­licht wurde. Des Wei­te­ren bat der Beklag­te den Klä­ger Ende 2004 seine Kos­ten­rech­nung zu über­sen­den, weil er das Man­dat selbst wei­ter bear­bei­ten wolle. Am 08.02.2005 stell­te der Klä­ger eine Gebüh­ren­rech­nung. Der Beklag­te teil­te mit Schrei­ben vom 21.2.2005 mit, dass er die Gebüh­ren­rech­nung nach Zah­lungs­ein­gang der Ver­si­che­rungs­leis­tung zur Anwei­sung brin­gen werde. Auf eine ent­spre­chen­de Mah­nung des Klä­gers hin, teil­te er mit Schrei­ben vom 4.12.2006 mit, dass ein Aus­gleich der Kos­ten­rech­nung über den ange­mahn­ten Betrag nicht mög­lich sei, hier­bei berief er sich ins­be­son­de­re auf die vor­lie­gen­de Mas­se­un­zu­läng­lich­keit. Nach erneu­ter Auf­for­de­rung des Klä­gers vom 18.12.2007, einen belast­ba­ren Vor­schlag für eine ver­gleichs­wei­se Eini­gung abzu­ge­ben, ver­han­deln die Par­tei­en in der Fol­ge­zeit über den Anspruch des Klä­gers und eine per­sön­li­che Haf­tung des Beklag­ten. Der Beklag­te teil­te schließ­lich am 20.5.2008 mit, dass er die gel­tend gemach­te For­de­rung als Mas­se­ver­bind­lich­keit berück­sich­ti­gen werde, falls es nicht zu einer Eini­gung komme. Eine Eini­gung erfolg­te nicht. Sodann erhob der Klä­ger am 2.10.2008 gegen den Beklag­ten per­sön­lich Klage auf Scha­dens­er­satz, die das Ober­lan­des­ge­richt in zwei­ter Instanz abge­wie­sen hat. Mit Beschluss vom 23.7.2015 wurde die Insol­venz­ver­wal­ter­ver­gü­tung fest­ge­setzt und für den 21.9.2015 ein Anhö­rungs­ter­min zur Ein­stel­lung des Ver­fah­rens wegen Mas­se­un­zu­läng­lich­keit und zur Erör­te­rung der Schluss­rech­nung bestimmt. Am 19.08.2015 stimmt das Insol­venz­ge­richt der Schluss­ver­tei­lung zu. Der Klä­ger bat den Beklag­ten mit Schrei­ben vom 14.9.2015 um Aus­gleich der Kos­ten­no­te, der Beklag­te erhebt die Ein­re­de der Ver­jäh­rung. Der Klä­ger nimmt nun­mehr den Beklag­ten auf Zah­lung der auf die Hono­rar­for­de­rung ent­fal­len­den Quote für Alt­mas­se­gläu­bi­ger in Anspruch. Das Land­ge­richt hat den Beklag­ten antrags­ge­mäß ver­ur­teilt, des­sen Beru­fung blieb erfolg­los. Mit der vom Beru­fungs­ge­richt zuge­las­se­nen Revi­si­on ver­folgt der Beklag­te sei­nen Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dung des BGH: Revi­si­on erfolg­reich

Der BGH erteilt ins­be­son­de­re der Ansicht des Beru­fungs­ge­richts, die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit und die Auf­nah­me der For­de­rung in die Mas­se­schuld­lis­te führe zu einer Hem­mung der Ver­jäh­rung, eine Absa­ge. Im Ein­zel­nen führt er zunächst aus, dass die erho­be­ne Leis­tungs­kla­ge zuläs­sig sei. Trotz Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit könne ein Alt­mas­se­gläu­bi­ger jeden­falls in Höhe der auf ihn ent­fal­len­den Quote auf Leis­tung kla­gen, sobald der Insol­venz­ver­wal­ter die Schluss­rech­nung gelegt habe und die vor­he­ri­gen Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1 und 2 berich­tigt seien. Diese Vor­aus­set­zun­gen seien vor­lie­gend erfüllt.
Die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit führe aber, eben­so wenig wie die Auf­nah­me der Alt­mas­se­for­de­rung in eine vom Beklag­ten geführ­te Liste, zur Hem­mung der Ver­jäh­rung. Die Anzei­ge führe ins­be­son­de­re nicht zur Hem­mung nach § 205 BGB, eben­so schei­det eine ent­spre­chen­de Anwen­dung der §§ 205, 206 BGB aus.
§ 205 BGB sei auf die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit nicht unmit­tel­bar anwend­bar. Vor­aus­set­zung für diese Rege­lung sei, dass der Schuld­ner auf­grund einer Ver­ein­ba­rung mit dem Gläu­bi­ger vor­über­ge­hend zur Ver­wei­ge­rung der Leis­tung berech­tigt sei. Dies setze vor­aus, dass ein unter den Par­tei­en ver­ein­bar­tes Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­recht vor­lä­ge. Die Norm gelte nicht für gesetz­li­che Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­rech­te. Die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit führe aber ledig­lich zu einem sol­chen gesetz­li­chen Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­recht, da fort­an eine Leis­tungs­kla­ge man­gels Rechts­schutz­be­dürf­nis unzu­läs­sig sei, die Befrie­di­gung nur im Rah­men der gesetz­li­che Rang­fol­ge erfol­gen könne und zudem ein Voll­stre­ckungs­ver­bot bestehe.
Aber auch eine ent­spre­chen­de Anwen­dung des § 205 BGB käme nicht in Betracht. Dies erge­be sich schon his­to­risch dar­aus, dass § 205 BGB abwei­chend von § 202 BGB a. F. ein­schrän­kend gefasst sei. Vor­aus­set­zung sei zudem, dass die Inter­es­sens­la­ge des gesetz­lich gere­gel­ten Falls mit der des zu ent­schei­den­den Falls über­ein­stim­me. Auch müsse u.a. die Wer­tungs­grund­la­ge und die gesetz­ge­be­ri­schen Inter­es­sens­be­wer­tung auf den zu ent­schei­den­den Fall zutref­fen. Rich­ti­ger­wei­se müsse das Hin­der­nis nicht nur in sei­nen Wir­kun­gen, son­dern auch in den Ent­ste­hungs­vor­aus­set­zun­gen zumin­dest einem Still­hal­te­ab­kom­men gleich­ste­hen. Ent­schei­dend sei somit, ob der Par­tei­wil­le die Grund­la­ge des Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­rech­tes bil­det. Das Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­recht, dass auf der Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit beru­he, erfül­le diese Vor­aus­set­zun­gen nicht. Es han­delt sich ledig­lich um die gesetz­li­che Folge der Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit, wobei das Recht, die Mas­se­un­zu­läng­lich­keit fest­zu­stel­len ein­sei­tig dem Insol­venz­ver­wal­ter zukom­me und die Gläu­bi­ger kein Mit­spra­che­recht hät­ten. Nach­dem bereits die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit die Durch­set­zung der For­de­rung ein­schrän­ke, stehe weder die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit noch das bloße Still­hal­ten der Alt­mas­se­gläu­bi­ger einer rechts­ge­schäft­li­chen Erklä­rung gleich. Auch die Ein­tra­gung in die Liste der Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten ände­re hier­an nichts. Auch unter Rechts­schutz­ge­sichts­punk­ten sei dies nicht zu bean­stan­den. Der Alt­mas­se­gläu­bi­ger sei in der Lage, seine Ansprü­che durch eine Fest­stel­lungs­kla­ge zu ver­fol­gen und damit die Ver­jäh­rung zu ver­hin­dern. Auf der ande­ren Seite könne der Insol­venz­ver­wal­ter eine ent­spre­chen­de dro­hend bevor­ste­hen­de Fest­stel­lungs­kla­ge leicht ver­mei­den. Ihm stehe es frei, den Anspruch auch wie­der­holt anzu­er­ken­nen, einen Ver­jäh­rungs­ver­zicht zu erklä­ren oder ein Still­hal­te­ab­kom­men zu tref­fen.
Auch § 206 BGB sei auf die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit weder direkt noch ent­spre­chend anwend­bar. Die Anzei­ge der Mas­se­un­zu­läng­lich­keit sei ins­be­son­de­re kein Akt höhe­rer Gewalt. Sie hin­de­re den Gläu­bi­ger auch nicht all­ge­mein an der Rechts­ver­fol­gung und damit der Hem­mung der Ver­jäh­rung. Ins­be­son­de­re stehe dem Alt­mas­se­gläu­bi­ger eine Fest­stel­lungs­kla­ge offen, die die Ver­jäh­rung hemme.
Des Wei­te­ren käme auch eine ent­spre­chen­de Anwen­dung von § 204 Nr. 10 BGB nicht in Betracht, die Vor­schrift erfas­se nur die Ver­fol­gung von Insol­venz­for­de­run­gen. Auch fehle es an einem den § 174 ff. InsO ent­spre­chen­den Ver­fah­ren.
Abschlie­ßend stell­te der Bun­des­ge­richts­hof im Ein­zel­nen im Wege der Aus­le­gung noch fest, dass auch keine ver­jäh­rungs­hem­men­de Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en, auch kein kon­klu­dent abge­schlos­se­nes Still­hal­te­ab­kom­men getrof­fen wor­den sei. Ins­be­son­de­re fehle es an einem rechts­ge­schäft­li­chen Ein­ver­neh­men, die gericht­li­che Aus­ein­an­der­set­zung über den Anspruch bis zu einem bestimm­ten Abschluss zurück­zu­stel­len. Die wie­der­hol­ten Hin­wei­se des Beklag­ten, er werde die gel­tend gemach­te For­de­rung in die Mas­se­schuld­ta­bel­le auf­neh­men, ent­hal­te allei­ne einen Hin­weis auf die gesetz­li­che Lage. Auch soweit Schrei­ben des Beklag­ten als Aner­kennt­nis­se anzu­se­hen seien, wäre die Ver­jäh­rung jeden­falls Ende 2011 ein­ge­tre­ten. Für das Vor­lie­gen eines Rechts­miss­brau­ches, der die Erhe­bung der Ver­jäh­rungs­ein­re­de hin­de­re, bestün­de kein Anhalts­punkt.

Recht­li­che Wür­di­gung

Die Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs ist dog­ma­tisch gut begrün­det und nach­zu­voll­zie­hen, da eine hin­rei­chen­de Ver­gleich­bar­keit ins­be­son­de­re mit der Rege­lung des § 205 BGB nicht gege­ben ist. Jeder Mas­se­gläu­bi­ger ist ent­spre­chend gehal­ten, die Ver­jäh­rungs­hem­mung auf ande­re Weise, regel­mä­ßig durch ent­spre­chen­de Ver­jäh­rungs­ver­zichts­ver­ein­ba­run­gen o. ä. her­bei­zu­füh­ren.

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