Arbeit

Verbot der geltungserhaltenden Reduktion

Grund­sätz­lich kann nie­mand im Vor­aus seine Haf­tung wegen Vor­sat­zes aus­schlie­ßen, beson­ders nicht in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB), also in vor­ge­druck­ten für eine Mehr­zahl von Ver­trä­gen vor­ge­se­he­nen Klau­seln. Obwohl es sich hier­bei sozu­sa­gen um eine juris­ti­sche „Bin­sen­wahr­heit“ han­delt, ist man im Arbeits­le­ben mit der auf den ers­ten Blick ver­wir­ren­den Tat­sa­che kon­fron­tiert, dass ver­mut­lich meh­re­ren Hun­dert­tau­send, wenn nicht sogar Mil­lio­nen von Arbeits­ver­hält­nis­sen Ver­trä­ge zugrun­de lie­gen, in denen pau­schal der Ver­fall von Ansprü­chen nach Ablauf einer bestimm­ten Frist (zuläs­si­ger­wei­se bin­nen drei­er Mona­te oder län­ger) ver­ein­bart wird. Da diese Ver­falls­klau­seln in der Regel tra­di­tio­nell „sämt­li­che“ Ansprü­che aus dem Arbeits­ver­hält­nis erfas­sen, wären bei wört­li­chem Ver­ständ­nis damit nicht nur rück­stän­di­ge Lohn­for­de­run­gen, das Recht auf Urlaubs­ab­gel­tung, das Ver­lan­gen nach Kor­rek­tur eines Zeug­nis­ses usw. gemeint, son­dern auch sol­che Ansprü­che, die auf vor­sätz­li­chem Ver­hal­ten der ande­ren Ver­trags­par­tei beru­hen. In einem Fall, in dem es um Schmer­zens­geld wegen vor­sätz­li­chen Mob­bings einer Arbeit­neh­me­rin ging, hat nun das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Urteil vom 20.06.2013 grund­sätz­li­che Aus­füh­run­gen zur AGB-rechtlichen Unwirk­sam­keit der­ar­ti­ger Rege­lun­gen gemacht. Dass im Ergeb­nis der Arbeit­ge­ber von sei­ner Haf­tung wegen Vor­sat­zes mit­hil­fe einer der­ar­ti­gen, auch im kon­kre­ten Fall mit der Arbeit­neh­me­rin ver­ein­bar­ten Ver­falls­klau­sel nicht nach ent­spre­chen­dem Frist­ab­lauf frei­wurde, liegt auf der Hand. Bemer­kens­wert sind aber AGB-rechtlichen Aus­füh­run­gen des BAG, mit denen die­ses seine Ent­schei­dung begrün­det. Hier­nach soll es näm­lich ent­ge­gen dem das AGB-Recht strikt beherr­schen­den Trans­pa­renz­ge­dan­ken aus­nahms­wei­se unschäd­lich sein, wenn – wie hier –die Aus­nah­me, für die die Klau­sel nicht gel­ten soll (Ansprü­che wegen Vor­sat­zes), in der Klau­sel selbst gar nicht erwähnt wird. Wei­ter nimmt das BAG ent­ge­gen dem im AGB-Recht eben­falls bestehen­den Ver­bot der gel­tungs­er­hal­ten­den Reduk­ti­on eine bloße sog. Teil­nich­tig­keit der viel­fach gebräuch­li­chen Aus­schluss­klau­seln an, d. h. sie haben in Fäl­len, in denen es nicht um Vor­satz geht, wei­ter­hin Bestand, obwohl sie dann, wenn es um Vor­satz geht, unwirk­sam sind. Das Ergeb­nis, dass die Arbeit­neh­me­rin als Mob­bing­op­fer mit ihrem auf Vor­satz des Arbeit­ge­bers gestütz­ten Anspruch nicht aus­ge­schlos­sen ist, wird sicher­lich jeder gut­hei­ßen. Wegen der Aus­wir­kun­gen die­ser Grund­satz­ent­schei­dung auf die arbeits­ver­trag­li­che Pra­xis in Fra­gen der AGB-Kontrolle stimmt aber die dog­ma­ti­sche Her­lei­tung skep­tisch, weil sie in punc­to Trans­pa­renz und Teil­nich­tig­keit vor­for­mu­lier­ter Arbeits­ver­trags­klau­seln mehr Fra­gen auf­wirft als sie beant­wor­tet. In einer ers­ten Stel­lung­nah­me aus der Fach­welt bezeich­ne­te der Hei­del­ber­ger Arbeits­recht­ler Prof. Dr. Stof­fels das Urteil vom 20.06.2013 denn auch als „wenig über­zeu­gend“.

BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 8 AZR 280/12

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