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Vorauszahlung von Kunden auf debitorisches Kontokorrentkonto

In sei­nem Urteil vom 9.11.2018 setzt sich das OLG Ham­burg (Akten­zei­chen 11 U 136/17) mit der Frage aus­ein­an­der, wann die Haf­tung eines Geschäfts­füh­rers einer insol­venz­rei­fen GmbH & Co. KG nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB ent­fal­len kann, obwohl er Vor­aus­zah­lun­gen von Kun­den auf ein debi­to­risch geführ­tes Kon­to­kor­rent­kon­to zuließ.

1. Sach­ver­halt

Die Schuld­ne­rin – eine GmbH & Co. KG – führ­te Char­ter­rei­sen für ver­schie­de­ne Anbie­ter durch. Der Beklag­te war Geschäfts­füh­rer der Schuld­ne­rin. Die Ver­trags­part­ner der Schuld­ne­rin leis­te­ten vor Durch­füh­rung der Rei­sen durch die Schuld­ne­rin erheb­li­che Anzah­lun­gen. Zwi­schen dem 19.7. und dem 4.8.2010 leis­te­ten die Ver­trags­part­ner ins­ge­samt 3.847.861,67 €.
Der Klä­ger wurde zum Insol­venz­ver­wal­ter über das Ver­mö­gen der GmbH & Co. KG bestellt. Er macht gegen den Klä­ger einen Gesamt­an­spruch in Höhe von 4.000.983,32 € gel­tend, weil die­ser nicht ver­hin­dert habe, dass im Zeit­raum 19.7. bis 4.8.2010 Ein­zah­lun­gen auf ein debi­to­ri­sches Gut­ach­ten der Schuld­ne­rin erfolg­ten.
Im Rah­men des Insol­venz­ver­fah­rens hatte der Klä­ger gegen­über der kon­to­füh­ren­den Bank einen Betrag in Höhe von 531.804,40 € im Ver­gleichs­weg zur Masse nach einer Anfech­tung gezo­gen.
Der Klä­ger stütz­te seine Klage auf § 130a Abs. 2 S. 1 HGB und erklär­te, dass bei der Schuld­ne­rin zum Zeit­punkt der streit­ge­gen­ständ­li­chen Ein­zah­lung bereits Insol­venz­rei­fe vor­ge­le­gen habe.
Das LG hat der Klage statt­ge­ge­ben. Mit der Beru­fung ver­folg­te der Beklag­te die Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.

2. OLG Ham­burg: Keine mas­se­schmä­lern­den Zah­lun­gen

Das OLG folgt der Ansicht des Beklag­ten, dass im vor­lie­gen­den Fall keine mas­se­schmä­lern­den Zah­lun­gen vor­ge­le­gen hät­ten und hebt daher das Urteil des LG auf.
Zunächst bestä­tigt das Gericht, dass auch Ein­zah­lun­gen auf ein debi­to­ri­sches Konto als Zah­lun­gen nach § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 HGB anzu­se­hen sind.
Im vor­lie­gen­den Fall seien die streit­ge­gen­ständ­li­chen Zah­lun­gen auch in einen Zeit­raum gefal­len, in dem die Schuld­ne­rin bereits insol­venz­reif gewe­sen sei. Zum einen sei die Schuld­ne­rin zah­lungs­un­fä­hig gewe­sen, da sie bereits ihre Zah­lun­gen ein­ge­stellt habe. Die Schuld­ne­rin habe einen erheb­li­chen Teil ihrer fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten, näm­lich bereits mehr als 50 % der seit Ende 2008 fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten nicht beglei­chen kön­nen. Zudem erge­be sich die Zah­lungs­ein­stel­lung aus einer Viel­zahl von Stundungs- und Raten­zah­lungs­ver­ein­ba­run­gen mit Gläu­bi­gern. Nach­dem der Klä­ger im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren die Zah­lungs­un­fä­hig­keit vor­ge­tra­gen habe, sei es den Beklag­ten nicht gelun­gen, die Wie­der­her­stel­lung der Zah­lungs­fä­hig­keit dar­zu­le­gen und zu bewei­sen. Abge­se­hen hier­von, sei auch eine objek­ti­ve Zah­lungs­un­fä­hig­keit fest­zu­stel­len, da die Schuld­ne­rin nicht in der Lage gewe­sen sei, inner­halb von drei Wochen ihre Liqui­di­täts­lü­cke zu schlie­ßen, son­dern es sei viel­mehr fest­zu­stel­len, dass die Liqui­di­täts­lü­cke mehr als 10 % betra­gen habe.
Zum ande­ren sei die Schuld­ne­rin auch über­schul­det. Der Jah­res­ab­schluss zum 31.12.2008 habe einen nicht durch Ver­mö­gens­ein­la­gen gedeck­ten Ver­lust­an­teil von 18,5 Mio. € aus­ge­wie­sen. Dem Beklag­ten sei keine Dar­stel­lung gelun­gen, nach der für den 19.7.2010 die Über­schul­dung wie­der besei­tigt wor­den sei. Auch stil­le Reser­ven konn­te der Beklag­te, so das OLG, nicht dar­le­gen. Auch eine posi­ti­ve Fort­füh­rungs­pro­gno­se sei nicht fest­zu­stel­len gewe­sen.
Den­noch lehnt das OLG Ham­burg eine Haf­tung des Beklag­ten ab. Das Gericht folgt den Aus­füh­run­gen des Beklag­ten, nach der die Vor­aus­zah­lun­gen diver­ser Ver­trags­part­ner für die Durch­füh­rung von Char­ter­rei­sen nicht geleis­tet wor­den wären, wenn der Beklag­te pflicht­ge­mäß Insol­venz­an­trag gestellt hätte. Es seien keine Anhalts­punk­te dafür ersicht­lich, dass der Klä­ger die Erfül­lung der mit den Ver­trags­part­nern geschlos­se­nen Ver­trä­ge nach § 103 Abs. 1 InsO gewählt hätte. Auch hät­ten die Geschäfts­part­ner Vor­schuss­zah­lun­gen an die Insol­venz­mas­se nicht geleis­tet.
Soweit der Klä­ger anführt, der Beklag­te wäre ver­pflich­tet gewe­sen, die Vor­aus­zah­lun­gen auf einem neuen, sepa­ra­ten Konto zu ver­wal­ten, so folgt das Gericht auch hier dem Beklag­ten, wenn die­ser anführ­te, die Ver­trags­part­ner hät­ten bei der Mit­tei­lung einer neuen Kon­to­ver­bin­dung sofort die Ver­trags­ver­hält­nis­se been­det und keine Vor­schüs­se geleis­tet. Die neue Kon­to­ver­bin­dung wäre für die Geschäfts­part­ner ein Zei­chen der Insol­venz­rei­fe bei der Schuld­ne­rin gewe­sen. Auch in die­sem Fall wären also die Zah­lun­gen nicht an die Schuld­ne­rin geleis­tet wor­den.
Zwar sei der Anspruch nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB, wie der Anspruch nach § 64 GmbHG ein Anspruch eige­ner Art und kein Scha­den­er­satz­an­spruch, es sei jedoch nicht nach­voll­zieh­bar, dass ein Geschäfts­füh­rer dazu ver­pflich­tet sei, Ein­zah­lun­gen aus­zu­glei­chen, die bei pflicht­ge­mä­ßem Ver­hal­ten und damit eine Insol­venz­an­trag­stel­lung gar nicht an die Schuld­ne­rin geflos­sen wären. Würde man ande­res anneh­men, so würde man zugleich eine unge­recht­fer­tig­te Mas­se­be­rei­che­rung legi­ti­me­ren.
Damit waren zunächst Zah­lun­gen in Höhe von 3.847.861,67 € nicht durch den Beklag­ten aus­zu­glei­chen. Auch der wei­ter­ge­hen­de Betrag in Höhe von 153.121,56 € könne aber durch den Klä­ger nicht erfolg­reich gel­tend gemacht wer­den. Er habe bereits einen Betrag in Höhe von 531.804,40 € aus einem Ver­gleich mit der kon­to­füh­ren­den Bank erhal­ten. Die­ser Betrag müsse vor­lie­gend ange­rech­net wer­den.

3. Recht­li­che Wür­di­gung

Das OLG Ham­burg hat die Revi­si­on gegen das Urteil zuge­las­sen. Es bleibt abzu­war­ten, ob die Revi­si­on durch­ge­führt wird und durch den BGH Bestä­ti­gung fin­det. Soll­te dies der Fall sein, so erge­ben sich zukünf­tig neue erfolg­ver­spre­chen­de Ver­tei­di­gungs­mög­lich­kei­ten für Geschäfts­füh­rer gegen die Inan­spruch­nah­me von Insol­venz­ver­wal­tern.
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