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Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters

Wel­che Rolle der vor­läu­fi­ge Sach­wal­ter gera­de im Hin­blick auf die Erfül­lung von steu­er­li­chen Pflich­ten hat ist in der Pra­xis viel­fach noch nicht hin­rei­chend geklärt. In wie­weit der vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­wal­ter für Steu­er­ver­bind­lich­kei­ten haf­tet, hatte das FG Düs­sel­dorf mit Urteil vom 12.3.2021 — 14 K 3658/16 H (L) zu ent­schei­den.

Sach­ver­halt

Strit­tig ist, ob der Klä­ger (K) als vor­läu­fi­ger Sach­ver­wal­ter im Schutz­schirm­ver­fah­ren nach § 270b InsO für nicht abge­führ­te Lohn­steu­er nebst Soli­da­ri­täts­zu­schlag in Haf­tung genom­men wer­den kann. 1988 wurde die Schuld­ne­rin, eine GmbH gegrün­det (S). Allei­ni­ger Geschäfts­füh­rer der S GmbH war H. Am 20.11.2014 mel­de­te H für die S für 2014 bei dem Beklag­ten Lohn­steu­ern an und zahl­te die Net­to­löh­ne am 30.11.2014 in vol­ler Höhe an die Arbeit­neh­mer aus. Wegen dro­hen­der Zah­lungs­un­fä­hig­keit bean­trag­te H am 1.12.2014 beim Insol­venz­ge­richt die Eröff­nung des Insol­venz­ver­fah­rens über das Ver­mö­gen der GmbH in Form des Schutz­schirm­ver­fah­rens nach den §§ 270, 270b InsO sowie die Bestel­lung des Klä­gers zum vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter. Am 1.12.2014 ord­ne­te das Insol­venz­ge­richt zur Vor­be­rei­tung der Sanie­rung die vor­läu­fi­ge Eigen­ver­wal­tung gem. § 270b InsO an und bestell­te den Klä­ger zum vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter, der die­ses Amt mit Schrei­ben 2.12.2014 annahm. Zugleich unter­sag­te das Insol­venz­ge­richt Maß­nah­men der Zwangs­voll­stre­ckung ein­schließ­lich der Voll­zie­hung eines Arres­tes oder einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung gegen die Schuld­ne­rin soweit nicht unbe­weg­li­che Gegen­stän­de betrof­fen sind; bereits begon­ne­ne Maß­nah­men wur­den einst­wei­len ein­ge­stellt (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO). Die Schuld­ne­rin wurde ermäch­tigt, Ver­bind­lich­kei­ten zu begrün­den, die im Falle einer Eröff­nung des Insol­venz­ver­fah­rens als Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten gel­ten zur Vor­fi­nan­zie­rung des Insol­venz­gel­des der Arbeit­neh­mer. Ein all­ge­mei­ner Zustim­mungs­vor­be­halt war nicht ange­ord­net. Der Klä­ger war berech­tigt Geschäfts­räu­me, betrieb­li­che Ein­rich­tun­gen der Schuld­ne­rin ein­schließ­lich der Neben­räu­me zu betre­ten und dort Nach­for­schun­gen anzu­stel­len. Fer­ner war er berech­tigt Aus­künf­te über die schuld­ne­ri­schen Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se bei Drit­ten ein­zu­ho­len. Zugleich wurde er beauf­tragt zu prü­fen, ob ein Eröff­nungs­grund vor­liegt und wel­che Fort­füh­rungs­aus­sich­ten bestün­den. Auch hatte er zu klä­ren, ob das schuld­ne­ri­sche Ver­mö­gen die Kos­ten des Ver­fah­rens vor­aus­sicht­lich decken wird. Am 9.12.2014 zeig­te der Klä­ger dem Insol­venz­ge­richt gem. § 270a Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 275 Abs. 2 InsO an, dass er mit Wir­kung vom 9.12.2014 die Kas­sen­füh­rung an sich gezo­gen habe und sämt­li­che ein­ge­hen­de und aus­ge­hen­de Zah­lun­gen aus­schließ­lich über das von ihm zu die­sem Zwe­cke ein­ge­rich­te­te Ander­kon­to zu rea­li­sie­ren seien. Am sel­ben Tag über­wies H das gesam­te Bank­gut­ha­ben der GmbH auf das vor­ge­nann­te Ander­kon­to. Die am 10.12.2014 fäl­li­ge Lohn­steu­er nebst Soli­da­ri­täts­zu­schlag wurde weder von H noch vom Klä­ger ent­rich­tet. Der Beklag­te mel­de­te den Betrag zur Insol­venz­ta­bel­le an. Die Steu­er­for­de­run­gen wur­den zur Tabel­le fest­ge­stellt. Mit Schrei­ben vom 28.1.2015 zeig­te H gem. § 270 Abs. 4 S. 2 InsO gegen­über dem Insol­venz­ge­richt den Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit der GmbH an. Am 1.3.2015 wurde das Insol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen der GmbH eröff­net und die Eigen­ver­wal­tung ange­ord­net. Die Schuld­ne­rin war berech­tigt, unter der Auf­sicht des Sach­ver­wal­ters das Ver­mö­gen zu ver­wal­ten und über die­ses zu ver­fü­gen. K wurde zum Sach­ver­wal­ter ernannt. Am 24.11.2015 stimm­te die Gläu­bi­ger­ver­samm­lung dem Insol­venz­plan vom 21.9.2015 zu, was das Insol­venz­ge­richt mit Beschluss vom 1.12.2015 bestä­tig­te. Mit Beschluss vom 14.1.2016 hob das Insol­venz­ge­richt das Ver­fah­ren auf. Mit Bescheid vom 21.4.2016 nahm der Beklag­te K als Gesamt­schuld­ner neben dem allei­ni­gen Geschäfts­füh­rer für die Lohn­steu­er und den Soli­da­ri­täts­zu­schlag für den Monat Novem­ber 2014 gem. §§ 69, 35, 34 Abs. 1a AO in Anspruch. Hier­ge­gen legte K Ein­spruch ein und begrün­de­te die­sen. Ins­be­son­de­re stell­te er dar, dass er keine Per­son im Sinne der §§ 34, 35 AO sei. Mit Ein­spruchs­ent­schei­dung vom 9.12.2016 wies der Beklag­te den Ein­spruch als unbe­grün­det zurück, eine bean­trag­te Erör­te­rung fand nicht statt. Gegen die Ein­spruchs­ent­schei­dung hat K frist­ge­recht Klage erho­ben.

Ent­schei­dung des FG: Vor­läu­fi­ger Sach­ver­wal­ter ist kein Haf­tungs­schuld­ner

Das Finanz­ge­richt gibt der Klage statt. Zwar recht­fer­tig­te die unter­las­se­ne Erör­te­rung nach
§ 364a AO für sich genom­men nicht iso­lier­te Auf­he­bung der Ein­spruchs­ent­schei­dung, da bereits nicht ersicht­lich sei, dass das Ein­spruchs­ver­fah­ren mög­li­cher­wei­se anders wie gesche­hen abge­schlos­sen wor­den wäre. Der Beklag­te habe K aber zu Unrecht nach §§ 69, 35, 34 AO in Anspruch genom­men. Die Vor­aus­set­zung des § 191 AO lägen nicht vor. K gehö­re nicht zum Per­so­nen­kreis der §§ 34, 35 AO. Er sei weder gesetz­li­cher Ver­tre­ter oder Ver­mö­gens­ver­wal­ter der GmbH, noch deren Ver­fü­gungs­be­rech­tig­ter gewe­sen. Nach der Recht­spre­chung BFH sei der vor­läu­fi­ge Insol­venz­ver­wal­ter nicht als gesetz­li­cher Ver­tre­ter anzu­se­hen, da es in die­sem Fäl­len bei der Ver­fü­gungs­be­fug­nis des Schuld­ners blei­be. Ent­spre­chen­des gelte auch für den vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter im Schutz­schirm­ver­fah­ren, da es auch in die­sen Fäl­len bei der Ver­fü­gungs­be­fug­nis des Schuld­ners blei­be. Der Klä­ger sei als vor­läu­fi­ger Sach­ver­wal­ter auch nicht Ver­mö­gens­ver­wal­ter. Wenn bereits ein schwa­cher vor­läu­fi­ger Insol­venz­ver­wal­ter mit Zustim­mungs­vor­be­halt kein Ver­mö­gens­ver­wal­ter sei, so müsse dies erst recht für den vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter gel­ten, da die­ser keine wei­ter­ge­hen­den Handlungs- und Ein­griffs­mög­lich­kei­ten habe. Auch in die­sem Fall blie­be es, selbst bei einer hier nicht erfolg­ten Anord­nung eines Zustim­mungs­vor­be­hal­tes, bei der Ver­fü­gungs­be­fug­nis des Schuld­ners. K sei auch nicht Ver­fü­gungs­be­rech­tig­ter im Sinne des § 35 AO, der die steu­er­li­chen Pflich­ten der GmbH zu erfül­len habe. Als Ver­fü­gungs­be­rech­tig­ter sei der­je­ni­ge anzu­se­hen, der auf­grund sei­ner Stel­lung in der Lage ist, tat­säch­li­che und recht­li­che Rechts­ver­hält­nis­se her­bei­zu­füh­ren, die ihn dazu befä­hi­gen, recht­lich ver­bind­lich die Pflich­ten des gesetz­li­chen Ver­tre­ters ent­we­der selbst zu erfül­len oder durch die Bestel­lung der ent­spre­chen­den Organe erfül­len zu las­sen. Eine tat­säch­li­che Ver­fü­gungs­macht genü­ge jedoch nicht, diese müsse viel­mehr auch recht­lich bestehen. Unter recht­li­cher Ver­fü­gungs­be­fug­nis sei die Fähig­keit zu ver­ste­hen im Außen­ver­hält­nis wirk­sam zu han­deln. Zum schwa­chen vor­läu­fi­gen Insol­venz­ver­wal­ter mit Zustim­mungs­vor­be­halt habe der BFH bereits ent­schie­den, dass die­ser nicht als Ver­fü­gungs­be­rech­tig­te im Sinne von § 35 AO anzu­se­hen sei, da er sich ohne Mit­wir­kung des Insol­venz­ge­richts nicht die recht­li­che Befug­nis ver­schaf­fen könne, über das Ver­mö­gen des Schuld­ners zu ver­fü­gen. Die Frage ob dies auch im Schutz­schirm­ver­fah­ren für den vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter mit Kas­sen­füh­rungs­be­fug­nis gilt, sei noch nicht ent­schie­den. Hier­zu wür­den unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen ver­tre­ten. Das FG ist der Auf­fas­sung, dass der vor­läu­fi­ge Sach­ver­wal­ter kein Ver­fü­gungs­be­rech­tig­ter sei. Die Auf­ga­ben und Befug­nis­se des vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ters wür­den durch Ver­wei­sun­gen auf die Vor­schrif­ten für den end­gül­ti­gen Sach­ver­wal­ter bestimmt. Wie ein Insol­venz­ver­wal­ter sei der Sach­ver­wal­ter für die Gel­tend­ma­chung des Gesamt­scha­dens nach § 92 InsO, für die Gel­tend­ma­chung der per­sön­li­chen Haf­tung von Gesell­schaf­tern nach § 93 InsO und die Insol­venz­an­fech­tung zustän­dig. Bei Ihm seien, wie beim Insol­venz­ver­wal­ter die For­de­run­gen der Insol­venz­gläu­bi­ger anzu­mel­den und er hat die Mas­se­un­zu­läng­lich­keit anzu­zei­gen. Im Übri­gen aber beschrän­ke sich, vor­be­halt­lich der Anord­nung der Zustim­mungs­be­dürf­tig­keit ein­zel­ner Rechts­hand­lun­gen durch das Insol­venz­ge­richt auf Antrag der Gläu­bi­ger­ver­samm­lung, seine Rolle auf die Prü­fung und Über­wa­chung des Schuld­ners. Nach § 275 Abs. 2 InsO könne der Sach­ver­wal­ter zwar vom Schuld­ner ver­lan­gen, dass alle ein­ge­hen­den Gel­der nur von ihm – dem Sach­ver­wal­ter – ent­ge­gen­ge­nom­men und Zah­lun­gen eben­falls nur von ihm geleis­tet wer­den. Das hat der Klä­ger vor­lie­gend getan und zu die­sem Zwe­cke ein ent­spre­chen­des Ander­kon­to eröff­net. Das Gericht ver­ken­ne inso­weit nicht, dass mit der Über­nah­me der Kas­sen­füh­rungs­be­fug­nis in tat­säch­li­cher Hin­sicht erheb­li­che Kontroll- und Ein­wir­kungs­mög­lich­kei­ten auf das Ver­mö­gen ver­bun­den seien. Dar­aus allein folge jedoch nicht die für § 35 AO zusätz­lich erfor­der­li­che recht­li­che Ver­fü­gungs­be­fug­nis mit Wirk­sam­keit nach außen selbst, ggf. sogar gegen den Wil­len der GmbH, deren Ver­mö­gen mit Steu­er­zah­lun­gen zuguns­ten des Finanz­am­tes zu min­dern. Da die tat­säch­li­che Ver­fü­gungs­mög­lich­keit wie dar­ge­legt nicht aus­rei­che, um die Pflich­ten eines gesetz­li­chen Ver­tre­ters zu begrün­den könne ein vor­läu­fi­ger schwa­cher Sach­ver­wal­ter, auch wenn er in der Lage sei, durch wirt­schaft­li­chen Druck auf die Ver­fü­gung des Steu­er­pflich­ti­gen ein­zu­wir­ken, eben­so wie eine Bank, an die sämt­li­che Vor­rän­ge abge­tre­ten sind, nicht als Ver­fü­gungs­be­rech­tig­te im Sinne § 35 AO ange­se­hen und in Anspruch genom­men wer­den. Ziel­rich­tung der Befug­nis nach § 275 Abs. 2 InsO sei es auch, unwirt­schaft­li­che Bar­ge­schäf­te des Schuld­ners weit­ge­hend aus­zu­schlie­ßen, recht­wid­ri­gen Geld­ab­fluss zu ver­hin­dern und die Auf­nah­me kurz­fris­ti­ger Kre­di­te ohne Zustim­mung des Sach­ver­wal­ters zu unter­bin­den. Die Kas­sen­füh­rung begrün­de abge­se­hen von insol­venz­spe­zi­fi­schen Pflich­ten jedoch keine Haf­tung des Sach­ver­wal­ters gegen­über unbe­tei­lig­ten Drit­ten. Sie sei viel­mehr intern auf die Ent­ge­gen­nah­me und Aus­zah­lun­gen von Gel­dern beschränkt, denen Erfül­lungs­wir­kung zukom­me. Zu die­sem Zweck sei der Sach­ver­wal­ter berech­tigt über die Kon­ten des Schuld­ners zu ver­fü­gen, Abhe­bun­gen durch­zu­füh­ren und Über­wei­sun­gen zu ver­an­las­sen. Der vor­läu­fi­ge Sach­ver­wal­ter könne auf diese Weise letzt­lich auch mit­be­stim­men, wel­che Gläu­bi­ger Zah­lun­gen erhal­ten und wel­che nicht. Die Befug­nis eines Sach­ver­wal­ters, eine Zah­lung vor­neh­men zu dür­fen sei jedoch nicht gleich­zu­set­zen mit einer dar­über­hin­aus­ge­hen­den Pflicht die steu­er­li­chen Pflich­ten des Schuld­ners zu erfül­len und ggf. gegen den Wil­len des Schuld­ners Steu­er­zah­lun­gen vor­zu­neh­men. Viel­mehr stel­le auch die Über­nah­me der Kas­sen­füh­rung eine rein inter­ne Kon­troll­maß­nah­me dar, wodurch der vor­läu­fi­ge Sach­ver­wal­ter zu einer Art „Zahl­stel­le“ des Schuld­ners werde. Aus der blo­ßen Über­nah­me der Kas­sen­füh­rung erge­ben sich für den Sach­ver­wal­ter des­halb keine eige­nen steu­er­li­chen Pflich­ten wegen derer er in Haf­tung genom­men wer­den könne. Die Gegen­an­sicht würde auch den Wil­len des Gesetz­ge­bers wider­spre­chen. Schließ­lich sprä­che gegen eine Haf­tungs­in­an­spruch­nah­me auch, dass er nicht als Ver­fü­gungs­be­rech­tig­ter der GmbH nach außen auf­ge­tre­ten sei. Die Revi­si­on wurde wegen grund­sätz­li­cher Bedeu­tung zuge­las­sen.

Recht­li­che Wür­di­gung

Die Ent­schei­dung ist im Ergeb­nis über­zeu­gend. Es würde dem Sinn und Zweck des Schutz­schirm­ver­fah­rens und der Rege­lung über den vor­läu­fi­gen Sach­ver­wal­ter wider­spre­chen, wenn die­ser nun­mehr steu­er­li­chen Pflich­ten erfül­len müss­te. Seine Funk­ti­on würde damit deut­lich über die Über­wa­chung hin­aus­ge­hen und die eigen­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz des Schuld­ners, die gera­de Sinn und Zweck der Rege­lun­gen ist, kon­ter­ka­rie­ren.[:][:]

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