Krise, Sanierung und Insolvenz

Insolvenzeröffnung bei Suizidgefahr

Nicht nur im Rah­men von Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fah­ren stellt sich die Frage, wie mit einer mög­li­chen Sui­zid­ge­fahr des Schuld­ners umzu­ge­hen ist. Auch bezüg­lich eines Eröff­nungs­an­tra­ges hatte der Bun­des­ge­richts­hof in sei­nem Beschluss vom 10.12.2020 – IX ZB 24/20 sich hier­mit zu befas­sen.

Sach­ver­halt

Der Schuld­ner (S) schul­det dem Gläu­bi­ger (G) ins­ge­samt 31.521,84 €. G ver­such­te seit Jah­ren ver­geb­lich, seine For­de­rung im Wege der Zwangs­voll­stre­ckung bei­zu­trei­ben. S ist Eigen­tü­me­rin eines mit einem Mehr­fa­mi­li­en­haus bebau­ten Grund­stücks. S wohnt in einer der Woh­nun­gen. G lies mehr­fach Zwangs­si­che­rungs­hy­po­the­ken zur Siche­rung sei­ner For­de­rung ein­tra­gen, die Belas­tun­gen schöp­fen den Wert des Grund­stücks nicht aus. Im Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fah­ren wurde der Ver­kehrs­wert des Grund­stücks auf 810.000 € fest­setzt. Am 2.2.2010 wurde auch auf Antrag von G die Zwangs­ver­stei­ge­rung des Grund­stücks ange­ord­net. Das Ver­fah­ren wurde 2015 wegen fach­ärzt­lich bestä­tig­ter Sui­zi­da­li­tät von S ein­ge­stellt. Zudem ist S mitt­ler­wei­le an Krebs erkrankt. Im Jahr 2019 und auf Antrag einer ande­ren Gläu­bi­ge­rin wurde die Zwangs­ver­wal­tung des Grund­stücks ange­ord­net, der Zwangs­ver­wal­ter ver­mie­te­te zwei bis dahin leer­ste­hen­de Woh­nun­gen des Objek­tes.
G hat am 19.7.2018 die Eröff­nung des Insol­venz­ver­fah­rens über das Ver­mö­gen von S bean­tragt. S ist, anwalt­lich ver­tre­ten, dem Antrag ent­ge­gen­ge­tre­ten. Sie hat dar­auf ver­wie­sen, dass die For­de­run­gen von G voll­stän­dig ding­lich gesi­chert seien, glei­ches gelte für die ande­ren gegen sie gerich­te­ten For­de­run­gen. Sie beab­sich­ti­ge die Ver­bind­lich­keit durch die Auf­tei­lung des Grund­stücks in Wohn­ei­gen­tum und anschlie­ßen­der Ver­äu­ße­rung ein­zel­ner Woh­nun­gen zu beglei­chen. Ent­spre­chend dem Insol­venz­er­öff­nungs­gut­ach­ten betra­gen die fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten der Schuld­ne­rin jeden­falls 366.704,86 €. Mit Beschluss des Insol­venz­ge­richts vom 28.6.2019 wurde das Ver­fah­ren über das Ver­mö­gen von S eröff­net und der wei­te­re Betei­lig­te zu 2. zum Insol­venz­ver­wal­ter bestellt. Die sofor­ti­ge Beschwer­de hier­ge­gen ist erfolg­los geblie­ben. Mit ihrer vom Beschwer­de­ge­richt zuge­las­se­ne Rechts­be­schwer­de will S wei­ter­hin die Zurück­wei­sung des Insol­venz­an­tra­ges errei­chen.

Ent­schei­dung des BGH: Insol­venz­an­trag ist zuläs­sig

Der Bun­des­ge­richts­hof weist die Rechts­be­schwer­de zurück. Er führt aus, dass die Eröff­nung des Insol­venz­ver­fah­rens vor­aus­set­ze, dass ein Eröff­nungs­grund vor­lie­ge. Dies sei hier der Fall, S sei zah­lungs­un­fä­hig und könne weder die von G noch ande­re Ver­bind­lich­kei­ten in sechs­stel­li­ger Höhe inner­halb von drei Wochen beglei­chen.
Der Antrag eines Gläu­bi­gers sei zuläs­sig, wenn er seine und den Eröff­nungs­grund glaub­haft gemacht und ein recht­li­ches Inter­es­se an der Eröff­nung des Ver­fah­rens habe (§ 14 Abs. 1 InsO). Ein recht­li­ches Inter­es­se sei in der Regel zu beja­hen, wenn dem antrag­stel­len­den Gläu­bi­ger eine For­de­rung gegen Schuld­ner zuste­he und ein Eröff­nungs­grund glaub­haft sei.
Es fehle am recht­li­chen Inter­es­se ledig­lich dann, wenn dem antrags­stel­len­den Gläu­bi­ger ein ein­fa­che­rer, schnel­le­rer und güns­ti­ge­rer Weg zur voll­stän­di­gen Befrie­di­gung sei­ner For­de­rung zur Ver­fü­gung stehe. Vor­lie­gend sei die Zwangs­ver­stei­ge­rung des Grund­stücks kein sol­cher Weg.
Der Gläu­bi­ger habe seine For­de­rung gegen die Schuld­ne­rin zwar durch Zwangs­si­che­rungs­hy­po­the­ken sichern las­sen. Diese seien auch wert­hal­tig. Die ding­li­che Siche­rung des Gläu­bi­gers allei­ne lasse den Eröff­nungs­an­trag aber nicht unzu­läs­sig wer­den. Viel­mehr komme es dar­auf an, ob eine Befrie­di­gung der For­de­rung des Antrag­stel­lers mit Sicher­heit zu erwar­ten sei. Dies erge­be sich auch aus der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung, was im Ein­zel­nen aus­ge­führt wird.
In der Regel ermög­li­che zwar eine wert­hal­ti­ge Sicher­heit die Befrie­di­gung des gesi­cher­ten Gläu­bi­gers in ange­mes­se­ner Frist. Im vor­lie­gen­den Fall sei dies aber nicht der Fall. G betrei­be seit vie­len Jah­ren ver­geb­lich die Zwangs­voll­stre­ckung in das Ver­mö­gen von S. Die Zwangs­voll­stre­ckung in das Grund­stück als ein­zi­gen bekann­ten Ver­mö­gens­ge­gen­stand habe bis­her wegen der psy­chi­schen Erkran­kung der Schuld­ner nicht zum Erfolg geführt. Daran werde sich in abseh­ba­rer Zeit auch nichts ändern. Viel­mehr habe sich der Zustand von S wegen einer Krebs­er­kran­kung sogar noch ver­schlech­tert. S habe sich den Anga­ben ihrer Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­ten zufol­ge nur wegen ihrer Krebs­er­kran­kung behan­deln las­sen. Im Insol­venz­ver­fah­ren sei S ihrer Mit­wir­kungs­ver­pflich­tung nicht nach­ge­kom­men. Dem Betei­lig­ten zu 2. sei es nicht gelun­gen, per­sön­lich oder tele­fo­nisch Kon­takt mit ihr auf­zu­neh­men. Zusa­gen ihrer Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tig­ten habe S nicht ein­ge­hal­ten. Dass es im Zwangs­ver­stei­ge­rungs­ver­fah­ren zu wei­te­ren, auf die Erkran­kung von S gestütz­ten Schutz­an­trä­gen nach § 765a ZPO kom­men könne, stel­le auch die Rechts­be­schwer­de nicht in Abre­de. Dem stün­de weder der Zeit­ab­lauf, noch die seit der letz­ten Ein­stel­lung gezeig­te Ver­wei­ge­rungs­hal­tung von S ent­ge­gen.
Im Insol­venz­ver­fah­ren könne dem Schuld­ner bei Voll­stre­ckungs­maß­nah­men des Insol­venz­ver­wal­ters auf Antrag zwar eben­falls Voll­stre­ckungs­schutz nach § 148 Abs. 2 InsO i.V.m. § 765a ZPO gewährt wer­den, soweit dies zur Erhal­tung von Leben und Gesund­heit erfor­der­lich sei. Auch die­ser Umstand ließe das Rechts­schutz­in­ter­es­se an der Insol­venz­er­öff­nung nicht ent­fal­len. Auf­grund sei­ner umfas­sen­den Verwaltungs- und Ver­fü­gungs­be­fug­nis könne der wei­te­re Betei­lig­te zu 2. das Mehr­fa­mi­li­en­haus in Woh­nungs­ei­gen­tum auf­tei­len und ein­zel­ne Woh­nun­gen ver­äu­ßern, ohne S aus ihrer Woh­nung zu ver­drän­gen und sie damit an Leib oder Leben zu gefähr­den.

Recht­li­che Wür­di­gung

Die Ent­schei­dung zeigt zumin­dest für den Ein­zel­fall den Insol­venz­an­trag als neuen Weg auf, um trotz Sui­zid­ge­fahr doch zur Gläu­bi­ger­be­frie­di­gung zu kom­men. Zumin­dest dann, wenn in einem Objekt meh­re­re Woh­nun­gen vor­han­den sind, die dem Insol­venz­schuld­ner gehö­ren, kann über den Weg eines Insol­venz­ver­fah­rens die Ver­wer­tung der übri­gen Woh­nun­gen, in denen der Schuld­ner nicht wohnt, leich­ter ange­gan­gen wer­den. Auch über die­sen Spe­zi­al­fall hin­aus kann die Durch­füh­rung eines Insol­venz­ver­fah­rens wegen der umfang­rei­chen Verwaltungs- und Ver­fü­gungs­be­fug­nis ein mög­li­cher Weg sein, um mit einer sol­chen schwie­ri­gen Situa­ti­on bes­ser umzu­ge­hen.[:][:]

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