In seinem Urteil vom 21.4.2020 — II ZR 412/17 hatte der BGH zu entscheiden, inwieweit ein Insolvenzverwalter berechtigt ist mittels einer Nichtigkeitsfeststellungsklage die Feststellung eines Jahresabschlusses und eines Gewinnverwendungsbeschlusses anzugreifen.
Sachverhalt
Die beklagte Schuldnerin vermittelte Immobilien und Versicherungen aller Art und war im An– und Verkauf von Versicherungen sowie Immobilien tätig. Die Klägerin wurde am 31.1.2014 zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Beklagten bestellt. Alleinige Aktionärin der Beklagten war die F. KGaA, über deren Vermögen am 1.4.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Zwischen den beiden Gesellschaften bestand ein Gewinnabführungsvertrag.
Der Jahresabschluss zum 31.12.2010 wurde durch gemeinsamen Beschluss des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beklagten am 18.04.2011 festgestellt. Am 25.5.2011 beschloss die Hauptversammlung unter Bezugnahme auf den Gewinnabführungsvertrag den ausgewiesenen Gewinn von 80.956.256,60 € an die Aktionärin abzuführen. Am 30.12.2011 wurde der Jahresabschluss im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
Ab Oktober 2013 fanden staatsanwaltliche Ermittlungen wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetruges und des Betruges im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betreiben eines sog. Schnellballsystems statt. Im Zuge der Ermittlungen wurden die Vorstandsmitglieder der Beklagten als auch die Mitglieder des Aufsichtsrates mit Ausnahme des Herrn Dr. R. in Untersuchungshaft genommen. In der Hauptversammlung der Beklagten vom 5.12.2014 wurde der Beschluss gefasst, dass die abwesenden Aufsichtsratsmitglieder B., Bu. und Dr. R. abberufen und durch andere Personen ersetzt werden. Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der F. KGaA unterrichtete die Klägerin hierüber mit E‑Mail vom 8.12.2014. Am 27. und 28.1.2015 wurde der Abberufungsbeschluss den Aufsichtsratsmitgliedern durch den hierzu beauftragten Notar mitgeteilt. Die neu bestellten Aufsichtsratsmitglieder traten spätestens am 27.3.2015 ihre Position an. Im April 2015 wurde die neue Liste der Aufsichtsratsmitglieder zum Handelsregister eingereicht. Eine Veröffentlichung fand im Juni 2015 statt. Mit ihrer am 23.12.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel, die Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Beklagten vom 31.12.2010 und den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung vom 25.05.2011 festzustellen. Die Klage wurde von dem Landgericht abgewiesen, da die Nichtigkeit des Jahresabschlusses wegen Ablauf der Heilungsfrist nach § 256 Abs. 6 S. 1 AktG nicht mehr geltend macht werden könne. Auch die Berufung der Klägerin gegen das Urteil blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision zum BGH verfolgte die Klägerin ihr Ziel weiter.
Entscheidung des BGH: Klagebefugnis der Insolvenzverwalterin gegeben
Der BGH stellt fest, dass die Klägerin klagebefugt ist und eine Abweisung der Klage aufgrund Fristablaufes nach § 256 Abs. 6 S. 1 AktG nicht gerechtfertigt sei.
Gemäß dem Wortlaut von § 246 Abs. 7 S. 1, § 249 Abs. 1 S. 1 AktG seien zur Erhebung der Nichtigkeitsfeststellungsklage grundsätzlich die Aktionäre, der Vorstand sowie einzelne Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder berechtigt. Hinzu komme, so der BGH, nach Insolvenzeröffnung auch der Insolvenzverwalter, soweit die Nichtigkeitsfeststellung des Jahresabschlusses die Insolvenzmasse betreffe. Dies sei zwar durchaus umstritten, folge jedoch aus der Rechtsstellung des Insolvenzverwalters. Dem Insolvenzverwalter obliege es, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten. Folglich habe der Insolvenzverwalter auch die rechtlichen Pflichten und Vorgaben der Rechtsordnung wie ein Gesellschaftsorgan einzuhalten, wenn ein Bezug zur Insolvenzmasse bestehe. Ziel der Nichtigkeitsklage nach § 256 Abs. 7 AktG sei in erster Linie die Durchsetzung von Rechtskontrolle der Rechnungslegung im übergreifendem Interesse. Soweit es seine Aufgaben betreffe, habe der Insolvenzverwalter auch die Legalitätskontrolle vorzunehmen.
Ebenfalls sei es Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Interessen der insolventen Gesellschaft gegenüber sämtlichen Schuldnern und Gläubigern zu vertreten, was wiederum auch eine Klagebefugnis für die Nichtigkeitsklage nach sich ziehen müsse. Soweit ein Jahresabschluss Mängel aufweise, die nachteilige Auswirkungen auf die Insolvenzmasse haben, sei er klagebefugt. Hätte die Nichtigkeitsfeststellungklage Erfolg, würde nicht nur die Gewinnabführung irrelevant, sondern die damit verbundenen Folgebelastungen für die Masse, wie steuerliche Belastungen als auch die Gewinnabführung und ‑ausschüttung würden hinfällig.
An der Passivlegitimation der beklagten AG ändere sich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens dagegen nichts. Der Insolvenzverwalter dürfe nicht zu einer für die Masse nachteiligen Rechtsverteidigung gezwungen werden. Da die Klage der Klägerin schlussendlich auf eine Mehrung der Masse abziele, sei die Verteidigung gegen diese Klage Sache der Gesellschaft.
In der Sache selbst folgt der BGH den Vorinstanzen nicht. Ein Fristablauf nach § 256 Abs. 6 S. 1 AktG könne nicht geltend gemacht werden. Die Klageschrift sei im Januar 2015 wirksam der Beklagten zugestellt worden. Dabei sei der Grundsatz der Doppelvertretung zu beachten. Die beklagte AG werde durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten. Die Bestellung eines Insolvenzverwalters lasse die Anwendung der Doppelvertretung unberührt. Im vorliegenden Fall sei die Zustellung der Klageschrift am 29.01.2015 gegenüber dem Vorstandsmitglied K. erfolgt. Die ebenfalls am 29.01.2015 vorgenommene Zustellung an Dr. R. reiche ebenfalls aus. Zwar war Herr Dr. R. bereits zu dem Zeitpunkt der Zustellung abberufen, die Klägerin konnte jedoch auf eine Aufsichtsratsposition des Dr. R. vertrauen. Die im Aufsichtsrat eingetretenen Änderungen waren noch nicht gemäß 106 AktG durch die Einreichung einer neuen Liste der Mitglieder des Aufsichtsrates bekannt gemacht worden. Nach § 171 Abs. 2 BGB bleibe die durch besondere Mitteilung an einem Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kundgegebene Vertretungsmacht eines Bevollmächtigten bestehen, bis sie in derselben Weise widerrufen würde. Diese Vorgaben seien im Hinblick auf § 106 AktG entsprechend anzuwenden.
Da die Vorinstanzen die Klage allein aufgrund angeblichen Fristablaufes abgewiesen hatten, verweist der BGH zur weiteren Prüfung des Begehrens der Klägerin die Angelegenheit zurück.
Rechtliche Würdigung
Konsequent bejaht der BGH das Recht des Insolvenzverwalters zur Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage. Dies ist richtig, da dem Insolvenzverwalter auch die Pflicht trifft, Masseschmälerungen zu verhindern. Gerade vor dem Hintergrund, dass ohne eine Korrektur des Jahresabschlusses die Beklagten erhebliche Belastungen getroffen hätten, war Handlungsbedarf gegeben.