Vorsicht ist geboten, wenn die beteiligten Parteien potentielle Ansprüche der Insolvenzmasse gegen den Geschäftsführer nach § 64 GmbHG a. F. vertraglich regeln wollen. Die Entscheidung des BGH vom 20.4.2021 — II ZR 387/18 zeigt einmal mehr, dass der Dispositionsfreiheit Grenzen gesetzt sind.
Sachverhalt
Die Beklagte zu 1 war Mehrheitsgesellschafterin der 2013 gegründeten M. GmbH (Schuldnerin). Ihr Ehemann, der Beklagte zu 2, war zunächst Geschäftsführer der Schuldnerin und ab dem 9.1.2015 Generalbevollmächtigter. Die Beklagte zu 1 stellte der A KG zwischen November 2013 und Juni 2014 unmittelbar und mittelbar über Dritte Darlehen zur Verfügung. Die Darlehen wurden durch eine Sicherungsübereignung, sowie die Abtretung von Kundenforderungen abgesichert.
Am 16.4.2015 stellte der Beklagte zu 2 Insolvenzantrag für die Schuldnerin, woraufhin der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde. Die A KG schloss mit der Beklagten zu 1 mit Zustimmung des Klägers am 11.5.2015 eine Vereinbarung zur Abwicklung bestehender Auftragsverhältnisse und damit zur Verhinderung einer sofortigen Betriebsstilllegung. Inhalt dieser Vereinbarung war ein Verzicht der Beklagten auf Sicherungsrechte, nach dem der Kläger diese bereits bestritten hatte. Als Gegenleistung sollte der Wert der Sicherungsrechte im Fall einer Geltendmachung von Ansprüchen nach § 64 GmbHG durch den Insolvenzverwalter angerechnet werden.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangte der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldnern Erstattung von zwischen dem 9.1.2015 und dem 8.4.2015 geleisteten Zahlungen, da diese nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgt seien.
Das LG hat der Klage gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldnern und den Beklagten zu 2 darüber hinaus zur Zahlung weiterer 114.506,92 € verurteilt. Auf die wechselseitigen Berufungen verurteilte das Berufungsgericht die Beklagten ebenfalls als Gesamtschuldner und den Beklagten zu 2 zur Zahlung weiterer 114.506,92 €. Beide Vorinstanzen haben die Vereinbarung als wirksam erachtet und die vereinbarte Verrechnung zugunsten der Beklagten zu 1 zugelassen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Verurteilung der Beklagten zu 1 zur Zahlung weiterer 114.506,92 € weiter.
Entscheidung des BGH: Vereinbarung ist unwirksam
Der BGH folgt den Vorinstanzen nicht und sieht die im vorläufigen Insolvenzverfahren getroffene Vereinbarung als unwirksam an. Gleichzeitig verweist der BGH den Rechtsstreit zurück.
Dabei greift der BGH nicht die Auslegung der Vorinstanz an. Die Auslegung durch den Tatrichter könne durch den BGH nur daraufhin geprüft werden, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht. Derartige Fehler seien vorliegend nicht festzustellen.
Ebenso wenig könne man in der Absprache einen Verstoß gegen den Zweck des Insolvenzverfahrens sehen. Dem Insolvenzverwalter stehe wegen der mit seinem Amt verbundenen vielfältigen und schwierigen Aufgaben bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum zu. Unwirksam seien aber Verfügungen des Insolvenzverwalters, welche dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung klar und eindeutig zuwiderlaufen, bei denen der Verstoß also für einen verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich sei. Der Revision sei es nicht gelungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Folgen für die Insolvenzmasse, die von dem Vertrag ausgehen, eine Zweckwidrigkeit darzulegen.
Dennoch sei im Ergebnis der Revision zu folgen. Die beiden Vorinstanzen seien nämlich rechtsfehlerhaft von einer wirksamen Vereinbarung ausgegangen, obwohl §§ 64 Satz 4, 43 Abs. 3 Satz 2, 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG a. F. dem entgegenstehe. Eine Vereinbarung zwischen der späteren Insolvenzschuldnerin und einem Geschäftsführer über Ansprüche aus § 64 Satz 1 a. F. unterliege auch dann dem Verzichts- und Vergleichsverbot, wenn ihr der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO zugestimmt habe. Erst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mache es möglich, von dem gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbot wirksam abzuweichen, da erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Beschlag des Schuldnervermögens zu Gunsten der Gläubiger eintrete.
Hieran ändere auch nichts, dass der vorläufige Insolvenzverwalter seine Zustimmung hätte verweigern können. Das dem Insolvenzverwalter eingeräumte Ermessen, über eine Verfolgung von Ansprüchen gegen den Geschäftsführer zu entscheiden, bestehe im vorläufigen Insolvenzverfahren noch nicht.
Weiter würden auch die insolvenzrechtlichen Anfechtungsmöglichkeiten nicht zu einer anderen Bewertung führen. Zwar sei zu berücksichtigen, dass auch Rechtshandlungen, denen der vorläufige Insolvenzverwalter zugestimmt habe, anfechtbar seien, das gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbot böte aber einen weitergehenden Schutz und sei dem Insolvenzverfahren vorgelagert. Zudem sei zu beachten, dass die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters überhaupt nur denjenigen schütze, der der Zustimmung vertraue, wenn das Vertrauen schutzwürdig sei und eine Leistung an die Insolvenzmasse erfolge. Jedenfalls letzteres sei bisher nicht zu erkennen; dies müsse aber noch ermittelt werden.
Rechtliche Würdigung
Das Urteil verengt die Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis. Auch die Ablösung von § 64 GmbHG durch § 15b InsO bietet keinen neuen rechtlichen Ansatz. Nach § 15b Abs. 4 Satz 4 InsO ist ein Verzicht auf die Haftungsansprüche gegen das Organ durch die Gesellschaft auch weiterhin unwirksam. Allerdings ist auch nach § 15b Abs. 4 S. 5 InsO weiterhin ein Vergleich über die Ansprüche in bestimmten Zusammenhängen möglich.