Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) hat sich jüngst zum wiederholten Male zur Frage geäußert, was bei einem Betriebsübergang aus tarifvertraglichen Normen wird, die auf die nunmehr übergegangenen Arbeitsverhältnisse anwendbar waren, als die Arbeitnehmer noch beim Veräußerer des Betriebes beschäftigt waren. Der Streit dreht sich in diesen Fällen immer um sog. dynamische Verweisungen, so jetzt auch in der am 18.07.2013 vom EuGH entschiedenen Sache „Alemo-Herron“ (Az.: C‑426/11). Die Stadt London hatte eine von ihr betriebene Freizeiteinrichtung ausgegliedert und an einen privaten Betreiber veräußert, der die Arbeitnehmer übernahm, darunter Mr. Mark Alemo-Herron. Der Erwerber veräußerte seinerseits den Betrieb mitsamt den Arbeitnehmern an einen ebenfalls privaten Investor. Zwischen ihm und Mr. Alemo-Herron entstand nun eine Kontroverse darüber, ob der Arbeitnehmer nach der aktuellen Fassung des kommunalen Tarifvertrages entlohnt werden muss, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er noch heute bei der Stadt London beschäftigt wäre. Dass das so ist, ergibt sich eigentlich schon aus der EU-Richtlinie 77/187/EWG aus dem Jahr 1977, da hiernach die Arbeitsverhältnisse beim Betriebsübergang mitsamt dem für sie jeweils geltenden Tarifrecht übergehen, welches folglich auch mit späteren Änderungen im Erwerberbetrieb beachtet werden muss. In Deutschland ist dies in § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB geregelt. Die Weitergeltung von Tarifrecht in der jeweils neuesten Fassung ist folglich ein Risiko, das Betriebserwerber seit Jahrzehnten kennen. Zwar hatte der EuGH in der die Bundesrepublik Deutschland betreffenden Sache „Werhof“ mit Urteil vom 09.03.2006 (Az.: C‑499/04) entschieden, dass es die o. g. Richtlinie nicht verbietet, wenn die nationale Rechtsordnung einen Erwerber von der dynamischen Verweisung beim Betriebsübergang unter bestimmten Voraussetzungen ausnimmt. Allerdings hatte der EuGH sodann in seiner Entscheidung „Scattolon“ vom 06.09.2011 (Az.: C‑108/10) zugunsten der dort betroffenen italienischen Putzfrau geurteilt, dass derlei nicht dazu führen darf, dass die Arbeitnehmer insgesamt schlechter stehen. In dieses System will sich das jetzt veröffentlichte Urteil im Fall „Alemo-Herron“ nicht einfügen. Denn nach dieser Entscheidung soll bemerkenswerterweise die britische Rechtslage (die in diesem Punkt dem deutschen § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB entspricht) zwar der EU-Richtlinie über den Betriebsübergang Genüge tun, nicht aber Art. 16 der EU-Grundrechte-Charta. Hiernach ist die unternehmerische Freiheit grundrechtlich garantiert. Diese Freiheit sei, so der EuGH, zu sehr eingeschränkt, wenn der private Erwerber kommunales Londoner Tarifrecht in seiner neuesten Fassung auf die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Arbeitnehmer anwenden müsse, obwohl er selbst – da keine Kommune – niemals Partei eines solchen Tarifvertrages werden könnte. Dieses Urteil birgt erheblichen Zündstoff. Denkt man es konsequent weiter, müsste man zum Ergebnis kommen, § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB sei im Lichte von Art. 16 der EU-Grundrechte-Charta unwirksam.
EuGH, Urteil vom 18.07.2013 – C‑426/11