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Haftung des Geschäftsleiters in der Eigenverwaltung

Die Haf­tung für Pflicht­ver­let­zun­gen der Geschäfts­lei­ter im Rah­men einer Eigen­ver­wal­tung im Insol­venz­ver­fah­ren war bis­her höchst­rich­ter­lich unge­klärt. Der BGH hat nun in sei­nem Urteil vom 26.04.2018 — IX ZR 228/17 eine Ent­schei­dung hier­zu getrof­fen.

1.1 Sach­ver­halt

Die Schuld­ne­rin, eine GmbH & Co. KG, die im Wei­te­ren zu einer GmbH umge­wan­delt wurde, geriet in wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten. Der Beklag­te war zunächst als Sanie­rungs­exper­te für die Schuld­ne­rin tätig. Am 30.3.2014 wurde nicht nur das Insol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen der Schuld­ne­rin eröff­net, son­dern zugleich die Eigen­ver­wal­tung gemäß Antrag der Schuld­ne­rin vom 30.1.2014 ange­ord­net. Wäh­rend Rechts­an­walt Dr. zum Sach­wal­ter ernannt wurde, arbei­te­te der Beklag­te ab dem 17.9.2014 als Geschäfts­füh­rer für die Schuld­ne­rin. Wäh­rend sei­ner Tätig­keit ver­fass­te der Beklag­te zusam­men mit wei­te­ren Geschäfts­füh­rern einen Insol­venz­plan, der u.a. die Befrie­di­gung von Gläu­bi­gern regel­te. Am 4.11.2014 stimm­te die Gläu­bi­ger­ver­samm­lung dem Insol­venz­plan zu. In der Folge bestell­te die Schuld­ne­rin am 9.12.2014 bei der Klä­ge­rin Beklei­dung mit Lie­fer­ter­min 29.4.2015 und gleich­zei­ti­ger Zah­lungs­ver­ein­ba­rung von 70 Tagen. Nach­dem das Insol­venz­ver­fah­ren mit Beschluss des AG vom 28.1.2015 auf­ge­ho­ben wor­den war und der Sach­wal­ter mit Beschluss des Insol­venz­ge­richts vom 29.1.2015 mit der Über­wa­chung des gestal­te­ten Teils des Insol­venz­pla­nes beauf­tragt wurde, lie­fer­te die Klä­ge­rin wie ver­ein­bart und stell­te am 6.5.2015 eine Rech­nung über 87.120,49 €.
Am 18.6.2015 stell­te die Schuld­ne­rin einen erneu­ten Insol­venz­an­trag wegen Zah­lungs­un­fä­hig­keit. Im wei­te­ren Ver­lauf wurde das Insol­venz­ver­fah­ren eröff­net.
Mit ihrer Klage ver­langt die Klä­ge­rin von dem Beklag­ten die Zah­lung von 87.120,49 €. Das LG und OLGH haben die Klage abge­wie­sen. Mit der Revi­si­on ver­folgt die Klä­ge­rin ihr Ziel wei­ter.

1.2 Ent­schei­dung des BGH: Haf­tung nach §§ 60, 61 GmbHG ana­log

Der BGH räumt ein, dass §§ 60, 61 GmbHG nicht unmit­tel­bar anwend­bar sei. Eine ana­lo­ge Anwen­dung auf ver­tre­tungs­be­rech­tig­te Geschäfts­lei­ter im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren seit aber mög­lich, da eine unbe­ab­sich­tig­te Rege­lungs­lü­cke vor­lie­ge.
Die Lücke sei ent­stan­den, da die Eigen­ver­wal­tung in das Gesetz auf­ge­nom­men wor­den sei, obwohl die Kom­mis­si­on für Insol­venz­recht sich dage­gen aus­ge­spro­chen habe. Die Kom­mis­si­on für Insol­venz­recht habe aber bereits die Haf­tung eines Geschäfts­lei­ters gleich einem Insol­venz­ver­wal­ter gefor­dert, wenn man die Eigen­ver­wal­tung ein­füh­ren wolle. Der Gesetz­ge­ber habe auch durch­aus die Not­wen­dig­keit eines Haf­tungs­re­gimes gese­hen, denn er habe die­ses für den Sach­wal­ter vor­ge­se­hen. Die Auf­sicht in der Eigen­ver­wal­tung führe eben die­ser Sach­wal­ter, der auf­grund der Ver­wei­sun­gen des § 274 InsO nach §§ 60, 61 InsO hafte. Die Auf­sicht sei not­wen­dig, da im Rah­men der Eigen­ver­wal­tung die Verwaltungs- und Ver­fü­gungs­be­fug­nis des Schuld­ners fort­be­stün­de. Dies führe dazu, dass die Belan­ge der Gläu­bi­ger im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren über­gan­gen wer­den könn­ten.
Aus der Ver­wei­sung könne man die grund­sätz­li­che Anwend­bar­keit der §§ 60, 61 InsO im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren ablei­ten. Fest­zu­stel­len sei wei­ter, dass in der Eigen­ver­wal­tung die Geschäfts­lei­ter der Schuld­ne­rin weit­ge­hend die Befug­nis­se eines Insol­venz­ver­wal­ters wahr­neh­men, wie z. B. bezüg­lich des Wahl­rechts bei gegen­sei­ti­gen Ver­trä­gen. Wei­ter sei fest­zu­stel­len, dass die Abbe­ru­fung und Neu­be­stel­lung von Geschäfts­lei­tern nach § 276 a Satz 2 InsO der Zustim­mung des Sach­wal­ters bedür­fe. Auch hier komme zum Aus­druck, dass die Füh­rung der Geschäf­te an den Inter­es­sen der Gläu­bi­ger aus­zu­rich­ten sei. Der Gesetz­ge­ber sei sich wei­ter der Haf­tungs­ge­fahr bewusst gewe­sen, die Geschäfts­lei­ter im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren tref­fe.
Der Gesetz­ge­ber sei sich aber nicht im Kla­ren gewe­sen, wie sich die Ver­wei­sung des § 270 Abs. 1 S. 2 InsO auf die Bestim­mun­gen der §§ 60, 61 InsO im Falle der Eigen­ver­wal­tung aus­wir­ke. Würde man die Haf­tung nach §§ 60, 61 InsO auf den Schuld­ner selbst begren­zen, wäre dem Anspruchs­in­ha­ber meist wirt­schaft­lich nicht gehol­fen. Das Ver­mö­gen des Schuld­ners wird in der Insolvenz meist voll­stän­dig auf­ge­braucht. Der Gesetz­ge­ber habe bei der Ver­wei­sung nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht bedacht, dass zwi­schen natür­li­chen und juris­ti­schen Per­so­nen zu unter­schei­den sei. Der Gesetz­ge­ber habe das Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren für natür­li­che Per­so­nen, Ein­zel­kauf­leu­te sowie frei­be­ruf­li­che Unter­neh­mer vor­ge­se­hen. Die wei­ter­ge­hen­de Öff­nung für juris­ti­sche Per­so­nen sei erst mit dem ESUG erfolgt. Erst in der Folge habe sich die Not­wen­dig­keit einer Haf­tungs­aus­deh­nung auf Geschäfts­lei­ter gezeigt. Tref­fe zudem einen Auf­sichts­pflich­ti­gen die Haf­tung, erschei­ne es fol­ge­rich­tig, auch die Geschäfts­lei­ter, die über­wacht wer­den sol­len, einer Haf­tung zu unter­wer­fen. Diese Umstän­de habe der Gesetz­ge­ber nicht bedacht.
Die vor­han­de­ne Geset­zes­lü­cke könne nicht mit einem Rück­griff auf die Haf­tungs­tat­be­stän­de des Kapi­tal­ge­sell­schafts­rechts aus­ge­füllt wer­den. In der Eigen­ver­wal­tung übe der Geschäfts­lei­ter über die organ­schaft­li­chen Befug­nis­se hin­aus, ori­gi­nä­re Auf­ga­ben eines Insol­venz­ver­wal­ters aus. Die Ver­let­zung die­ser insol­venz­spe­zi­fi­schen Pflich­ten seien gesell­schafts­recht­lich nicht erfasst. Zumal das Gesell­schafts­recht von einem Eigen­scha­den der Gesell­schaft aus­ge­he und nicht von einem Scha­den der Gläu­bi­ger.
Gegen eine Aus­le­gung der Haf­tung spre­che auch nicht, dass der Geschäfts­lei­ter mit der Bestel­lung als Organ ledig­lich die gesell­schafts­recht­li­chen Haf­tungs­ri­si­ken ein­ge­hen woll­te. Da der Eigen­an­trag durch den Schuld­ner und damit das Organ gestellt wer­den muss, sei die­ses ver­pflich­tet, sich selbst über die haf­tungs­recht­li­chen Umstän­de zu infor­mie­ren.

1.3 Recht­li­che Wür­di­gung

Der BGH räumt selbst ein, dass mit sei­ner Bewer­tung die Haf­tung der Geschäfts­lei­ter mas­siv erwei­tert. Statt einer organ­schaft­lich begrenz­ten Haf­tung wird der Geschäfts­lei­tung eine insol­venz­recht­li­che Haf­tung auf­ge­bür­det. Beach­tet man, dass von Insol­venz­ver­wal­tern beson­de­re Fähig­kei­ten im insol­venz­recht­li­chen Bereich gefor­dert und nach­ge­wie­sen wer­den müs­sen, wer­den sich Geschäfts­lei­ter einer umfang­rei­chen Rechts­be­ra­tung im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren bedie­nen müs­sen, sofern sie nicht selbst über insol­venz­spe­zi­fi­sche Kennt­nis­se ver­fü­gen.

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