Es kommt gerade im Insolvenzeröffnungsverfahren immer wieder vor, dass Zahlungen von Drittschuldnern nicht mit schuldbefreiender Wirkung erfolgen, weil sie beispielsweise noch auf das Konto der Insolvenzschuldnerin erfolgen. Wie dies steuerlich zu bewerten sein kann, hatte der BFH in seinem Urteil vom 28.5.2020 — V R 2/20 zu entscheiden.
Sachverhalt
Aufgrund eines am 1.2.2016 von einem Gläubiger gestellten Insolvenzantrags bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 8.6.2016 R. zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners. Weiter wurde angeordnet, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind und der vorläufige Verwalter wurde ermächtigt, Forderungen auf ein Treuhandkonto einzuziehen. Gemäß § 22 Abs. 2 InsO sollte das Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt werden. R. zeigte gegenüber dem Insolvenzgericht eine Interessenkollision an, woraufhin mit Beschluss vom 15.6.2016 der Kläger und Revisionsbeklagte (K) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wurde. Die Anordnungen wurden entsprechend aufrechterhalten.
Der Insolvenzschuldner verfügte über ein Girokonto bei der B Bank. Auf diesem wurden am 22.6.2016 eine Überweisung in Höhe von 446,25 € sowie am 28.6.2016 drei Überweisung in Höhe von 357,00 €, 4.373,25 € sowie 238,00 € gutgeschrieben. Den Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung übermittelte K der B Bank am 28.6.2016 um 8:53 Uhr. Am 30.6.2016 erstellte der Kläger sein Insolvenzgutachten. Der Insolvenzschuldner habe zwischen dem und 26.6. und 29.6.2016 demnach telefonisch mitgeteilt, dass auf dem Bankkonto bei der B Bank die Zahlung eines Auftraggebers in Höhe von 3.000,00 € eingehen werde. Am 1.7.2016 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und K zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Bescheid vom 18.4.2017 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuervorauszahlung für den Voranmeldezeitraum Juni 2016 gegenüber K auf 1.627,85 € fest und legte hierbei steuerpflichtige Umsätze von 8.570,00 € zugrunde. Darin waren Überweisungen vom 28.6.2016 enthalten. Hiergegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein. Nach Vorlage der Kontoauszüge des Insolvenzschuldners wurden dem Finanzamt weitere Zahlungseingänge bekannt, daher setzte das Finanzamt abweichend von der am 22.8.2018 eingereichten Umsatzsteuererklärung des K für 2016 die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 5.10.2018 fest. In der Bemessungsgrundlage von 10.527,03 € wurden die Überweisungen vom 22.6. und 28.6.2016 berücksichtigt. Auch der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht gab der Klage demgegenüber statt und führte aus, dass insoweit keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 InsO vorläge. Hiergegen wendete sich Finanzamt mit seiner Revision.
Entscheidung des BFH: Mögliches Vorliegen einer Masseverbindlichkeit
Der BFH gibt der Revision statt und verweist die Sache an das Finanzgericht zurück. Das Finanzgericht habe bei seinem Urteil die Rechtswirkung unberücksichtigt gelassen, die sich bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes für die steuerliche Einordnung als Masseverbindlichkeit ergeben. Hierzu seien im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats würden Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO allerdings nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet. Demnach komme es maßgeblich auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, nicht aber auf die Leistungserbringung oder auf eine „tatsächliche“ Zustimmung des vorläufigen Verwalters zur faktischen Unternehmensfortführung an. Entsprechend sei der BFH bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter, der wie vorliegend vom Insolvenzgericht zum Forderungseinzug ermächtigt wurde, dass der Forderungseinzug im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse erfolge und dazu führe, dass umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO würden. Das Anknüpfen an die rechtlichen Befugnisse der in § 55 Abs. 1 und Abs. 4 InsO genannten Verwalter führe nicht dazu, dass jegliche Handlungen Masseverbindlichkeiten begründen. Maßgeblich sei vielmehr, wie sich die ihnen zustehenden Befugnisse ausüben. Werde eine zur umsatzsteuerpflichtigen Leistung führende Tätigkeit ohne Wissen und Zutun des Insolvenzverwalters ausgeführt und gelangten diese Entgelte nicht zur Masse, entstünden keine Masseverbindlichkeiten. Es komme daher darauf an, ob der vorläufige Insolvenzverwalter das Entgelt vereinnahmt habe. Die erstinstanzliche Entscheidung entspräche zwar den Grundsätzen dieser vorgenannten Auslegung. Im Ergebnis habe aber das Finanzgericht § 82 InsO verletzt. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Drittschuldner die Beträge auf das Bankkonto der B Bank schuldbefreiend überwiesen haben. Ordnet das Insolvenzgericht an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien, würden Drittschuldner nur dann befreit, wenn sie zur Zeit der Zahlung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannten. Hat der Drittschuldner mangels Schuldbefreiung nochmal an den Verwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zu zahlen, entsteht eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1, 4 InsO. Das Finanzgericht habe insbesondere übersehen, dass sich die Schuldbefreiung des Drittschuldners nicht erst aus einem insolvenzgerichtlichen Verbot, das sich an die Drittschuldner richte und diesen verbiete an den Insolvenzschuldner zu zahlen, ergäbe, sondern bereits unmittelbar aus § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Fall 2 i. V. m. § 24 Abs. 1 und § 82 InsO. Demnach wird der Leistende nur frei, wenn er zur Zeit der Leistung die Anordnung der Verfügungsbeschränkung nicht kannte. Grob fahrlässige Unkenntnis reicht hingegen nicht aus. Es komme insoweit nicht darauf an, ob das Geleistete in die Insolvenzmasse gelangt sei.
Die Sache sei dementsprechend nicht entscheidungsreif, da im zweiten Rechtszug weitere Feststellungen dazu zu treffen seien, ob die Zahlungsvorgänge im Juni 2016 mit schuldbefreiender Wirkung erfolgten oder falls dies zu verneinen sein sollte, der Insolvenzverwalter mangels derartiger Wirkung eine zweite Zahlung verlangen könne und verwirklicht habe. Vorsorglich weist der Senat weiter darauf hin, dass es im Streitfall auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren oder den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren ankomme, da das Insolvenzverfahren bereits im Streitjahr eröffnet wurde. Daher würde auch eine Vereinnahmung im Zeitraum nach der Verfahrenseröffnung, aber noch im Streitjahr zu einer teilweisen Klageabweisung führen. Sollte der Kläger demgegenüber mangels Tilgungsbestimmungen gegenüber der Masse fortbestehende Ansprüche gegen Drittschuldner pflichtwidrig nicht geltend gemacht haben, wäre hierüber nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern in einem gesonderten Haftungsverfahren zu entscheiden.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung zeigt, wie ausdifferenziert mittlerweile die Frage des Vorliegens von Masseverbindlichkeiten beurteilt wird. Letztlich statuiert der BFH hier auch eine Pflicht gegen Drittschuldner vorzugehen, die nicht mit schuldbefreiender Wirkung entsprechend § 82 InsO gezahlt haben, da anderenfalls jedenfalls Haftungsansprüche drohen.[:][:][:]