Auszahlungen der Schuldnerin an Gesellschafter werden von Insolvenzverwaltern insbesondere dann hinterfragt, wenn sie in einem Zeitraum von 12 Monaten vor dem Insolvenzantrag erfolgt sind. Der BGH hatte in seinem Urteil vom 17.12.2020 — IX ZR 122/19 zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Gewinnentnahme durch den Insolvenzverwalter wirksam angefochten werden kann.
Sachverhalt
An der E‑GmbH & Co. KG (Schuldnerin), sowie die Komplementär GmbH waren jeweils zunächst der Beklagte mit 77 % und bis zu seinem Ausscheiden der Mitgesellschafter O. mit 23 % beteiligt.
Nach § 10 des Gesellschaftsvertrags führte die Schuldnerin für die Gesellschafter jeweils ein festes Kapitaleinlagekonto (Kapitalkonto I), ein gesamthänderisch gebundenes Kapitalrücklagekonto (Kapitalkonto II), ein gesamthänderisch gebundenes Gewinnrücklagen- und Verlustvortragskonto (Kapitalkonto III) und ein variables Privatkonto (Verrechnungskonto). Für die nicht verzinslichen Kapitalkonten II und III ist eine Verrechnung mit Verlustanteilen ausdrücklich vorgesehen. Auf dem verzinslichen variablen Privatkonto sind hingegen insbesondere Gewinngutschriften und ‑entnahmen der jeweiligen Gesellschafter zu buchen. Die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin beschloss am 24.4.2013 nach Feststellung des Jahresabschlusses, den im Geschäftsjahr 2012 erwirtschafteten Jahresüberschuss iHv 520.856,04 € den Kommanditisten im Verhältnis ihrer Kommanditeinlagen auf ihren sogenannten Privat- oder Verrechnungskonten gutzuschreiben. Der auf den Beklagten entfallende Anteil wurde dem Privatkonto des Beklagten gutgeschrieben. Im Geschäftsjahr 2013 erwirtschaftete die Schuldnerin einen Jahresfehlbetrag iHv 477.432,42 €.
Durch notariellen Vertrag vom 11.9.2013 erwarb der Beklagte von O. dessen Kommanditanteile an der Schuldnerin sowie dessen Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH der Schuldnerin mit Wirkung zum 31.12.2013 für einen Gesamtkaufpreis von 250.000 €. Am 8.1.2014 entrichtete die Schuldnerin an den Beklagten zulasten seines Privatkontos eine Zahlung von 250.000 €, die er an O zur Tilgung des diesem geschuldeten Kaufpreises weiterleitete.
Auf einen Insolvenzantrag vom 24.4.2014 hin wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin am 1.7.2014 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Nach Anfechtung der Auszahlung durch den Kläger hatte die Klage auf Zahlung von 250.000 € vor dem LG und OLG jeweils Erfolg.
Entscheidung des BGH: darlehensgleiche Forderung
Der BGH folgt den Vorinstanzen und verurteilt den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die angefochtene Zahlung entspreche der Rückgewähr einer Forderung, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspreche.
Zunächst stellt der BGH klar, dass auf eine GmbH & Co. KG nach § 39 Abs. 4 InsO die Vorgaben gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO grundsätzlich Anwendung finden, weil keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter vorhanden ist.
Im konkreten Fall sei zudem die Gewinnauszahlung von 250.000 €, die der Beklagte von der Schuldnerin erhalten habe, wirtschaftlich als Darlehensrückzahlung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen.
Einem Darlehen sei – so der BGH weiter — ein gesellschaftsrechtlicher Gewinnanspruch gleichzustellen, wenn er als unentziehbares Recht bereits dem Vermögen des Gesellschafters zugeordnet werden könne und der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet wird. Werde eine Forderung eines Gesellschafters über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten rechtsgeschäftlich oder faktisch zugunsten der Gesellschaft gestundet, handele es sich grundsätzlich um eine darlehensgleiche Forderung .
Werde durch einen Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschaft ein Gewinnanspruch des Gesellschafters begründet, handele es sich um eine darlehensgleiche Forderung, wenn die Gewinnforderung stehen gelassen wird. Der Gewinnanspruch des Gesellschafters aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft werde seinem Vermögen jedenfalls ab dem Zeitpunkt zugeordnet, in dem die Gesellschafterversammlung den Gewinnverwendungsbeschluss gefasst habe. Mit diesem Zeitpunkt sei der Gewinnanspruch als Gläubigeranspruch entstanden. Werde die beschlossene Dividendenforderung stehen gelassen, könne sie sich in eine darlehensgleiche Forderung verwandeln.
Diesen Vorgaben entspreche vorliegend das Geschehene. Das auf dem Privatkonto des Beklagten befindliche Guthaben, zu dessen Lasten die Zahlung der 250.000 € vorgenommen worden sei, stelle eine unentziehbare schuldrechtliche Forderung des Beklagten gegen die Schuldnerin dar. Mit der Beschlussfassung über die Verwendung des ausgewiesenen Jahresgewinns für das Geschäftsjahr 2012 in der Gesellschafterversammlung am 24.4.2013 sei ein selbstständiger Gewinnanspruch des Beklagten entstanden, welcher als eigenständige Forderung seinem Vermögen zuzuordnen sei. In Umsetzung des Gewinnverwendungsbeschlusses sei der Anteil des Beklagte am Jahresüberschuss für das Geschäftsjahr 2012 iHv 401.059,15 € auf sein Privatkonto gebucht, welches zum 31.12.2012 sodann ein Guthaben von 731.724,75 Euro ausgewiesen habe. Das auf dem Privatkonto des Beklagten vorhandene Guthaben sei deshalb als schuldrechtliche Forderung und nicht als Ausweis seiner Beteiligung an der Schuldnerin zu qualifizieren.
Führe eine KG – wie hier – für ihre Kommanditisten mehrere Konten mit verschiedenen Bezeichnungen, sei durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu ermitteln, welche Rechtsnatur die einzelnen Konten haben. Dabei sei die Bezeichnung des Kontos alleine nicht für die rechtliche Qualifikation ausreichend. Maßgeblich sei vielmehr der sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebende Wille der Gesellschafter und der mit den Konten verfolgte Zweck. Entscheidende Bedeutung für die Einordnung eines Guthabens auf einem Kapitalkonto als Ausweis einer Beteiligung oder eines Forderungsrechts komme dem Umstand zu, ob Verluste das Konto belasten oder ob sie von einem anderen Kapitalkonto abzusetzen oder einem Verlustsonderkonto zuzuschreiben seien. Typisches Kennzeichen für eine Einlage sei, dass der Gesellschafter mit dieser Einlage auch am Verlust der Gesellschaft beteiligt sei. Wenn auf einem Kapitalkonto spätere Verluste abgesetzt werden könnten, die auf demselben Konto stehen gelassene Gewinne aufzehren, werde mit dem Konto daher im Regelfall eine Beteiligung ausgewiesen. Demgegenüber sei vom Vorliegen einer unentziehbaren Forderung auszugehen, wenn eine spätere Verlustverrechnung ausgeschlossen sei. Vorliegend sei in § 10 des Gesellschaftsvertrags eine Verrechnung von Verlustanteilen der Gesellschafter lediglich mit Guthaben auf den Kapitalkonten II und III, nicht aber mit Guthaben auf den Privatkonten vorgesehen. Außerdem würden auf dem Kapitalkonto III etwaige Verlustanteile der Gesellschafter gebucht, soweit diese nicht aus den Kapitalkonten II gedeckt werden können. Der auf dem Verrechnungskonto des Beklagte gebuchte Jahresüberschuss stelle somit eine unentziehbare Forderung dar, weil das Guthaben jederzeit ohne Beschlussfassung habe entnommen werden können und eine Verrechnung des Guthabens mit Verlusten nicht stattgefunden habe. Das Guthaben sei deshalb auch nicht durch den im Geschäftsjahr 2013 erzielten Verlust der Schuldnerin verringert worden. Das Konto sei nicht als Kapitalkonto, sondern als variables Privatkonto bezeichnet worden.
Angesichts des Zeitraums von acht Monaten zwischen dem Gewinnverwendungsbeschluss und der Entnahme sei eine darlehensgleiche Forderung auch aufgrund der zeitlichen Umstände entstanden.
Rechtliche Würdigung
Die rechtliche Bewertung des BGH ist nachvollziehbar. Macht es doch wirtschaftlich keinen Unterschied, ob ein Gesellschafter zunächst einen Gewinn erhält und dann als Darlehen wieder zurückzahlt oder der Gesellschafter zum Schutz der Liquidität eine Gewinnauszahlung zurückstellt.