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Haftung eines ausgeschiedenen Geschäftsführers für Neugläubigerschäden

Der BGH hatte in sei­nem Urteil vom 23.7.2024 — II ZR 206/22 zu ent­schei­den, ob ein bereits aus­ge­schie­de­ner Geschäfts­füh­rer auch gegen­über Neu­gläu­bi­gern für Schä­den haf­ten kann. Neu­gläu­bi­ger sind in die­sem Zusam­men­hang Per­so­nen, die erst nach dem Aus­schei­den des Geschäfts­füh­rers aus sei­nem Amt einen Ver­trag mit der Schuld­ne­rin geschlos­sen haben.

Sach­ver­halt

Die Klä­ge­rin nimmt die Beklag­te als Allein­er­bin des frü­he­ren Geschäfts­füh­rers meh­re­rer Ver­triebs­ge­sell­schaf­ten der „P.-Gruppe“ auf Scha­den­er­satz in Anspruch. Das Anla­ge­mo­dell der P.-Gruppe bestand im Ver­kauf von Fracht­con­tai­nern. Zeit­gleich mit dem Ver­kauf der Con­tai­ner kam es zum Abschluss von Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­run­gen. Es war ver­ein­bart, dass ein garan­tier­ter Miet­zins an die Anle­ger gezahlt wird. Die Klä­ge­rin hatte vier Anla­gen abge­schlos­sen. Drei Ver­trä­ge wur­den mit der P.-Gruppe abge­schlos­sen, als der Erb­las­ser noch Geschäfts­füh­rer war. Ein Abschluss erfolg­te erst nach dem Aus­schei­den des Erb­las­sers aus sei­nem Amt.

Nach­dem das Geschäfts­mo­dell der P.-Gruppe ab 2007 in der wirt­schaft­li­chen Krise war, ver­wand­te die P.-Gruppe ein­ge­hen­de Anle­ger­gel­der dazu, ihre bereits begrün­de­ten Ver­pflich­tun­gen gegen­über älte­ren Anle­gern zu bedie­nen. Im Ergeb­nis han­delt es sich somit um ein sog. Schnell­ball­sys­tem. Nach­dem die­ses nicht wei­ter fort­ge­führt wer­den konn­te, kam es 2018 zum Insol­venz­ver­fah­ren über die Gesell­schaf­ten der P.-Gruppe.

Mit ihrer Klage for­dert die Klä­ge­rin von der Beklag­ten Scha­den­er­satz. Der Erb­las­ser hafte als lang­jäh­ri­ger Geschäfts­füh­rer der Ver­triebs­ge­sell­schaft auf­grund Insol­venz­ver­schlep­pung.

Das LG hatte der Klage, soweit sie sich auf die drei vor der Abbe­ru­fung des Erb­las­sers abge­schlos­sen Anla­ge­ver­trä­ge bezog, statt­ge­ben. Hin­sicht­lich des nach der Abbe­ru­fung des Erb­las­sers geschlos­se­nen vier­ten Anla­ge­ver­trags wurde die Klage abge­wie­sen. Das Beru­fungs­ge­richt hat auf die Beru­fung der Klä­ge­rin hin, auch hin­sicht­lich des nach Aus­schei­den des Erb­las­sers abge­schlos­se­nen Anla­ge­ver­tra­ges der Klage statt­ge­ge­ben. Mit der Revi­si­on hat die Beklag­te die Zurück­wei­sung der Klage zu allen Anla­ge­ver­trä­gen wei­ter­ver­folgt.

Ent­schei­dung des BGH: Anspruch denk­bar

Der BGH hebt das Urteil auf und ver­weist das Ver­fah­ren zur erneu­ten Ver­hand­lung durch das Beru­fungs­ge­richt zurück. Dabei bestä­tigt der BGH jedoch die materiell-rechtlichen Aus­füh­run­gen des OLG. Ledig­lich hin­sicht­lich der Zuläs­sig­keit sieht das Gericht Bedarf nach einer neuen Ver­hand­lung.

Der BGH stellt klar, dass Gesell­schafts­or­ga­ne auch für Vor­gän­ge nach dem Aus­schei­den aus ihrer Posi­ti­on unmit­tel­bar gegen­über einem Gläu­bi­ger nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO haf­ten kön­nen, wenn sie ihrer Pflicht zur Insol­venz­an­trag­stel­lung wäh­rend ihrer Amts­zeit nicht nach­ge­kom­men sind. Obwohl die Insol­venz­an­trag­pflicht nach Auf­ga­be der Organ­stel­lung nicht mehr den aus­ge­schie­de­nen Geschäfts­füh­rer betref­fe, könne er sich gegen­über Insol­venz­neu­gläu­bi­gern wei­ter haft­bar machen.

Der Geschäfts­füh­rer habe auf­grund der aus­blei­ben­den Insol­venz­an­trag­stel­lung seine Pflich­ten ver­letzt. Diese Pflicht­ver­let­zung wirke auch nach dem Aus­schei­den aus dem Amt fort. Durch die unter­las­se­ne Insol­venz­an­trag­stel­lung sei die Gefahr begrün­det wor­den, dass Drit­te mit der Schuld­ne­rin Ver­trä­ge abschlie­ßen, die zu einem Scha­den füh­ren. Auf­grund des­sen sei der aus­ge­schie­de­ne Geschäfts­füh­rer für den ein­tre­ten­den Insol­venz­ver­schlep­pungs­scha­den mit­ver­ant­wort­lich. Die von ihm began­ge­ne Pflicht­ver­let­zung sei kau­sal für den anschlie­ßen­den Ver­trags­schluss durch den geschä­dig­ten Gläu­bi­ger. Hätte der aus­ge­schie­de­ne Geschäfts­füh­rer den Insol­venz­an­trag recht­zei­tig gestellt, so wäre es nicht mehr zu einem Ver­trags­schluss zwi­schen dem Insol­venz­neu­gläu­bi­ger und der Schuld­ne­rin gekom­men. Infol­ge des­sen wäre der Scha­dens­ein­tritt ver­mie­den wor­den.

Recht­li­che Wür­di­gung

Für Gesell­schafts­or­ga­ne hat die Ent­schei­dung große Bedeu­tung. Sie kön­nen sich ihrer Ver­ant­wor­tung gegen­über zukünf­ti­gen Ver­trags­part­nern der Gesell­schaft nicht dadurch ent­zie­hen, dass sie vor der Begrün­dung eines Ver­trags­ver­hält­nis­ses aus ihrer Organ­stel­lung aus­schei­den. Obwohl die ehe­ma­li­gen Organe kei­nen Ein­fluss mehr auf die Gesell­schaft aus­üben kön­nen, haf­ten sie mit ihren Nach­fol­gern für Schä­den.

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