Der BGH hatte in seinem Urteil vom 22.10.2024 — BGH II ZR 97/23 darüber zu entscheiden, wie das Verhältnis zwischen dem Herabsetzungsrecht nach § 87 Abs. 2 AktG und dem Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO ausgestaltet ist. Außerdem hat der BGH den Prüfungsmaßstab für eine Unbilligkeit nach § 87 Abs. 2 AktG konkretisiert.
Sachverhalt
Der Kläger (Kl) wurde als Vorstandsmitglied einer AG (Schuldnerin) mit Dienstvertrag vom 14.11.22019 angestellt. Der Dienstantritt sollte laut Vertrag am 1.1.2020 erfolgen. Als Vergütung war eine feste Vergütung und eine ergebnisabhängige Sondervergütung (Tantieme) vorgesehen. Mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage wurde für die Geschäftsjahre 2020 und 2021 eine Mindesttantieme vereinbart.
Über das Vermögen der AG wurde am 23.12.2019 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte (Bkl) wurde zum Insolvenzverwalter bestellt und kündigte den Dienstvertrag mit dem Kl mit Schreiben vom 30.12.2019 zum 31.3.2020. Die Vergütung wurde zudem unter Ausfall der Tantieme herabgesetzt und der Kl von der Dienstpflicht freigestellt.
Der Kl war der Ansicht, die Herabsetzung der Vergütung und der Ausfall der Tantieme sei nicht gerechtfertigt und verlangte von dem Bkl Zahlung des Differenzbetrages.
Die Klage wurde sowohl in der ersten als auch in der Berufungsinstanz abgewiesen.
Entscheidung des BGH: Zurückverweisung an OLG
Die Revision des Kl hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Dabei stellt das Gericht zunächst fest, dass das Herabsetzungsrecht nach § 87 Abs. 2 AktG nicht durch das Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO verdrängt wird. Es erstreckt sich vielmehr auch auf die Zeit des Insolvenzverfahrens und wird daher in diesem Zeitraum durch den Insolvenzverwalter ausgeübt und nicht durch den Aufsichtsrat. Die Zuständigkeit folge daraus, dass der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand die Gesellschaft nach § 112 AktG vertrete. Mit dem Insolvenzverfahren gehe die Vertretungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über, da die Vergütung aus der Insolvenzmasse zu leisten sei und über Zahlungen aus der Insolvenzmasse der Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO entscheide.
Das Berufungsgericht habe einen falschen Ansatz bei der Prüfung der Billigkeit gewählt. Bei der Prüfung der Billigkeit nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG seien sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hierzu gehöre auch, inwieweit einem Vorstandsmitglied die wirtschaftliche Lage zugerechnet werden könne. Die Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung sei also keine gesonderte Voraussetzung für die Herabsetzung der Bezüge, sondern ein wesentlicher Umstand in der gebotenen Abwägung. Schon das Wort „Unbilligkeit“ deute auf eine Gesamtabwägung hin, bei der alle Umstände einzubeziehen und zu gewichten seien. Damit könne die Unbilligkeit nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG nicht allein deswegen abgelehnt werden, weil die wirtschaftliche Verschlechterung in der Gesellschaft (auch) ohne Zutun des Vorstandsmitglieds eingetreten ist oder wäre.
Für das weitere Verfahren weist der BGH darauf hin, dass in dem hier vorliegenden Fall, in dem das Vorstandsmitglied zu der Zeit, in der sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert hat, noch nicht Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft war, die Annahme der Unbilligkeit für die Gesellschaft unter Berücksichtigung des Gebots der restriktiven Auslegung von § 87 Abs. 2 AktG in der Regel ausgeschlossen sei.
Rechtliche Würdigung
Mit dieser Entscheidung hat der BGH zu zwei wesentlichen Aspekten Stellung genommen. Zum einen hat er ausgeführt, dass während des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter für die Herabsetzung des Vorstandsbezüge nach § 87 Abs. 2 AktG zuständig ist. Eine Einbindung des Aufsichtsrats ist nicht erforderlich. Dies war zuvor umstritten, hat nun jedoch eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegen. Zum anderen legte er wesentliche Abwägungskriterien für die Prüfung der Unbilligkeit für die Gesellschaft im Rahmen des § 87 Abs. 2 AktG fest. Er verwies darauf, dass in jedem Einzelfall eine Würdigung der Gesamtumstände zu erfolgen hat und auch der Vereinbarung mit dem jeweiligen Vorstandsmitglied zu berücksichtigen ist, wobei die Herabsetzung nach § 87 AktG restriktiv zu erfolgen hat.